Bild: © Lalo Jodlbauer

Gundhi“ – ein Wortspiel aus Gandhi und dem englischen Wort für Waffe, das die Dialektik einer Welt zwischen normalisierter Gewalt und dem Wunsch nach Frieden offenbart, prägt die Inszenierung des Kollektivs „De Warme Winkel“ am Schauspielhaus Bochum.

Gleich zu Beginn tarnen sich die Darsteller:innen im Vorraum als Mitarbeitende des Schauspielhauses. Einer von ihnen läuft wild schreiend herum, verpönt das Theater als heuchlerisch und gewaltverherrlichend, eine andere Darstellerin prügelt sich obenrum nackt mit ihrem Kollegen, der am Boden festgehalten wird. Eine der Besucherinnen wird gefragt, ob sie Netanjahu töten würde, wenn keiner es mitbekommen und sie nicht bestraft werden würde und sie antwortet mit „Ja“. Ein paar Besucher:innen werden auserwählt und in den Saal begleitet, bevor der allgemeine Einlass stattfindet. Mit einer Kamera wird alles gefilmt und auf Bildschirme auf der Bühne und im Vorraum übertragen, so auch das den Einlass begleitende Aufzählen von Künstler:innen, Schriftsteller:innen, Schauspieler:innen, Musiker:innen, Instrumenten, Gerichten, Filmen, politischen Organisationen, sogar Sexstellungen. Alles Mögliche wird von einem der Schauspieler vorgelesen und mit einem knappen „Ja“ oder „Nein“ kommentiert. Im Saal angekommen, sitzen die zuvor ausgewählten Besucher:innen auf Gymnastikbällen im Planetenlook auf der Bühne verteilt. Eine Zeit lang werden sie erst einmal befragt und dabei live gefilmt und auf den Bildschirm gestreamt. Sie beantworten, welche Politiker:innen ihnen Angst und welche Hoffnung machen.

Als es mit der Inszenierung des Kollektivs dann richtig losgeht, entfaltet sich eine Aneinanderreihung von experimentellen Szenen, die sich nicht nur mit Gandhi, seinen Prinzipien und Schwachstellen kritisch auseinandersetzen, sondern auch Kollektivität als Mittel nutzen, um Frieden in seinen realistischen Möglichkeiten und Krieg in seiner Allgegenwärtigkeit zu offenbaren. Wie lässt sich Frieden denken in einer Welt der Gewalt? Wege müssen erprobt und ertastet werden, um Frieden als Gefühl und Handlung zu definieren. Was durchscheint in dieser Inszenierung, ist, dass der Glaube an ein größeres Ganzes wichtig ist, ein Gefühl von gemeinsamer Stärke, die vorrangig gefühlt wird, bevor sie im Kopf Einzug findet. Frieden wird zunächst einmal gefühlt und über ein Handeln aus (Mit-)Gefühl in die Welt getragen, bevor theoretische und strukturelle Komponenten eine Bedeutung haben.

Im imitierten Gandhitempel werden barfuß Gespräche geführt, wird sich umgezogen und zur Waffe gegriffen, um zum spirituellen Kämpfer zu werden. Die Problematik hinter Gandhis Philosophie eines gewaltlosen Widerstands wird thematisiert, ein Interview mit ihm simuliert, in dem deutlich wird, dass auch er kein perfekter Mensch war, sondern unter anderem. durch seine Worte über Juden, die sich gewaltlos untergeben sollten und seiner Definition Hitlers als Freund fragwürdig. In der Choreografie der spirituellen Kämpfer*innen steckt die Vermutung, dass Frieden etwas ist, das errungen und erkämpft werden muss, weil Krieg zum Monopol der Realität und zur einzigen Währung geworden zu sein scheint. Zuschauende werden zum Nachdenken angeregt darüber, in welchen Kategorien Frieden operieren kann. Ein transparenter Spiegel auf der Bühne zeigt eine zweite, hintere Ebene und zugleich das Publikum. Frieden und Diskurs müssen auf Augenhöhe stattfinden, der Mensch muss seine Stimme hören, ohne die Lautstärke des Anderen zu übertönen, genau wie in einem Chor – so die Metapher, die für einheitliche Kraft verwendet wird. Dass Friedensbemühungen nicht unterwürfig und leise sein müssen, sondern manchmal rebellisch und wild sind, klingt im Tempel im Bericht eines Lebensgefühls an: „Da war ich mit den anderen Kindern im Sommer in diesem christlichen Camp, ohne jeglichen Punk,“ klagt eine der Besucherinnen.

Die entscheidende, die Inszenierung charakterisierende Frage wird gestellt, laut, fordernd, einschüchternd und mutig: „Können wir lernen, den Frieden zu lieben, so wie wir gelernt haben, den Krieg zu lieben?“ Die Perversion und Grenzerfahrung des Krieges wird entlarvt: Dass Menschen, die den Krieg erlebt haben, nicht darüber reden wollen, denn wie sollen sie erklären, dass der Krieg ihnen Dinge offenbarte und Seiten des Menschseins erfahrbar machte, die ohne Lebensgefahr nicht einmal ansatzweise greifbar wären? Wie ist die Gewalt zu überwinden, die den Menschen schon immer fasziniert, ob er will oder nicht? Welchen Wert hat Frieden, wenn Krieg zum Menschsein dazugehört, zu einer Welt, die ruhelos, größenwahnsinnig und ungerecht ist? Am Ende singen die Darsteller:innen lange, wiederholend, einprägsam und nachhallend dennoch den Friedenswunsch: „Mögen alle Wesen frei und friedlich leben,“ das Publikum, animiert dazu, ein Teil des großen Ganzen zu sein, stimmt mit ein und darf dieses Friedensgefühl mittragen. Die Widersprüchlichkeit des Menschen, die Dilemmata, die in den Bestrebungen nach Frieden stecken, das Ying und Yang des Guten und Bösen, all das wird ersichtlich als Unmöglichkeit, den Frieden als Normalzustand zu denken, und doch als Hoffnung und Utopie, ihn als wichtigeren Teil im Gegensatz zu erkennen, zu verteidigen und anzustreben. Nur im Dunkeln, wenn die Zuschauenden nichts sehen und im Saal nur dem Hören ausgesetzt sind, entfaltet sich die Möglichkeit von Fantasie und Vorstellungskraft, die es für Frieden braucht: Im Dunkeln sind wir gezwungen, hinzuhören, einer Geschichte zu lauschen, einer Fragestellung, die unsere Bereitschaft zur Gewaltlosigkeit, zur Empathie, Nächstenliebe und Menschlichkeit erfragt: Würdest du das Kind des Feindes, der deinen Vater tötete, mit Liebe willkommen heißen? Ein berührender Aufruf zum Hinterfragen von Fronten, Feinddenken, Abgrenzung und Hass. Leitlinien werden sanft gezogen, wie Versuche in den Saal und auf die Bühne geworfen, Fragen und fehlende Antworten koexistieren in dieser Inszenierung ohne sich zu widersprechen – so wie es in der echten Welt vielleicht auch sein sollte. Widersprüchliches muss sich nicht bekriegen, sondern kann nebeneinander und voneinander lernen, sich austarieren, den Weg des geringsten Leids suchen?

:Maja Hoffmann

Na, haben Deine Eltern, Freunde oder Verwandte und Bekannte auch gefragt, was man damit am Ende machen kann? Ganz schön viel irgendwie. Insbesondere Geisteswissenschaftler:innen bekommen den Stempel Taxi oder Lehramt. Aber das muss ja nicht sein. Christian Feras Kaddoura hat Theater- und Medienwissenschaften an der RUB studiert und arbeitet jetzt in der Regieassistenz am Schauspielhaus Bochum. Zudem bringt er seine eigenen Stücke auf die Bühne.

bsz: Wie bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, an der RUB zu studieren?

Feras: Eine lustige Geschichte. Es ist eher ein Wieder-Zurückkommen an die RUB gewesen. Ich war nämlich schon einmal vorher an der RUB, direkt nach dem Abitur. Ich wusste noch nicht genau, was ich machen wollte, habe mich dann querbeworben und war für zwei, nein, sogar für drei Semester eingeschriebener Sales, Engineering and Product Management Student. Aber dann habe ich für mich festgestellt, dass das nicht so meins ist. Gleichzeitig ging es mit meiner Band gerade los und ich bin durch die Gegend getourt. Irgendwann habe ich dann aber festgestellt, dass ich doch einen Abschluss haben möchte. Das war dann Theater- und Medienwissenschaft. Dadurch haben sich für mich ganz neue Interessen aufgetan. Ich war ein totaler Fan von meinem Grundkurs und hatte das Gefühl, eine sehr schöne Heranführung an das Theater zu bekommen.

Jetzt bist Du Regieassistenz am Schauspielhaus in Bochum. Wie ist das passiert?

Also, während der Corona-Zeit, als Zoom-Seminare das Studium bestimmt haben, habe ich gemerkt, dass mir das digitale Lernen gar nicht liegt. Als das Ganze wieder lockerer wurde, habe ich mich auf eine Hospitanz am Schauspiel Dortmund beworben. Nach der Hospitanz in Dortmund wurde ich gefragt, ob ich bleiben möchte, und wurde immer mehr ins Theater eingebunden. Zunächst war ich nur als Gast dort, konnte aber weiter studieren. Da hatte ich noch genügend Zeit für die Uni (lacht). Nach einem abgeschlossenen Projekt in Dortmund habe ich eine Krankheitsvertretung in Bochum übernommen und wurde schließlich fest am Schauspielhaus angestellt. Obwohl ich ursprünglich nur ein Projekt machen wollte.

Und wie ist es dazu gekommen, dass Du selbst ein Theaterstück machen durftest?

Das ist eine spannende Frage. Ich glaube, dass ich es schon irgendwie eingefordert habe. Deswegen habe ich aktiv nach kreativer Entfaltung neben der Regieassistenz gefragt. Das ist aber von Theater zu Theater unterschiedlich. Primär wollte ich mich wieder kreativ ausleben und habe dann die Möglichkeit erhalten, zu inszenieren. Beim ersten Mal wurde mir geraten, nicht gleichzeitig zu schreiben und zu inszenieren, also haben wir gemeinsam mit den Schauspielern nach einem Text zum Inszenieren gesucht. Wir haben „Der stumme Diener“ von Harold Pinter ausgewählt. Das passte und erinnerte mich an einen Lieblingsfilm. Dieses „Well-Made Play“ bot eine solide Grundlage für meine Regiearbeit.

Aktuell spiele ich selbst. Es ist ein autobiografisches Stück. Eigentlich wollte ich mit Schauspieler:innen zusammenarbeiten, aber das hat terminlich nicht funktioniert. Da es ohnehin ein autobiografisches Stück ist, stehe ich nun selbst mit der Unterstützung meines Kollegen Merlin auf der Bühne.

Warum sollten junge Studis mal einen Abend ins Theater gehen? Und muss es nur das Bochumer Theater sein, oder hat das Ruhrgebiet auch noch andere schöne Theater?

Das habe ich damals wahrscheinlich in einer meiner ersten Sitzungen im Grundkurs gelernt. Das Ruhrgebiet ist, glaube ich, das dichtbesiedeltste Gebiet in Deutschland, wenn es um kleine Theater geht. Hier gibt es eine richtig schöne Theaterkultur, gerade in der Bochumer Innenstadt. Und mit der Theater-Flat hat das Schauspielhaus für mich irgendwann fast das Kino ersetzt. Man setzt sich einfach mal rein, ohne immer genau zu wissen, was einen erwartet. Ich fand das total spannend. Im besten Fall hat man zwei Stunden einen richtig schönen Abend. Aber manchmal hat man halt auch einen Abend, über den man schnell hinwegsehen kann. In den meisten Fällen habe ich es aber als sehr bereichernd empfunden. Und ganz ehrlich – die Hemmschwelle ist geringer mit dem 0-Euro-Eintritt. 

Was kannst Du als ehemaliger Ersti den Erstis mitgeben?

Die Kennlernwochen an der Uni, natürlich! Die bestimmen zwar nicht das ganze Leben, aber sie sind auch nicht zu unterschätzen. Ich habe viele Leute ganz früh im Studium kennengelernt. Aber grundsätzlich: Nicht nur in den Laptop schauen! Einfach wirklich mal rausgehen, wissen, wo man studiert, und die Stadt kennenlernen.

Da tritt jemand Neues ins Rampenlicht! Cathrin Rose, die scheidende Leiterin des Bochumer Schauspielhauses wechselt nach Hannover. Daher wird der Theatermacher Thorsten Bihegue ab Mai 2025 ihr Nachfolger für die künstlerische Leitung des Jungen Schauspielhaus Bochum. Thorsten Bihegue hat sich am Theaterrevier bisher als Regisseur und Autor einen Namen gemacht. Mit Stücken wie NERVT!, Der kleine Prinz, und Das NEINhorn bringt er viel Erfahrung mit auf die Bochumer Bühnen, um dort zukünftig die Fäden in die Hand zu nehmen.

Neben der Praxiserfahrung hat der zukünftige Leiter zudem eine starke Ausbildung in petto: Geboren 1974 in Oberhausen, studierte er Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis an der Universität Hildesheim sowie Performance Writing am Dartington College of Arts in England.

Während er vermehrt als Writer und Regisseur mit Applaus bedacht wird, hat Bihuege im übertragenen Sinne auch schon so einige Glanzrollen spielen können: 2005 gründete er gemeinsam mit der Dramatikerin Abi Basch das Theaterkollektiv kInDeRdEuTsCh PrOjEkTs. Ihre Stücke wurden unter anderem in New York (2009) und San Francisco (2012) produziert, während Gastauftritte sie zu Festivals auf der ganzen Welt führten. Für das Theater Aachen, Theater Oberhausen und Theater Fürth, aber auch die freie Szene ist bihegue lange kein Newcomer mehr.   2022 wurde sein Stück NERVT! mit dem Kaas & Kappes – Autor*innenpreis ausgezeichnet. Vielleicht war der Titel ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass er nun neue Wege einschlagen will? 

In der Spielzeit 2025/2026 wird er jedenfalls auch an das Erbe seiner Vorgängerin anknüpfen und die in Programm realisieren, das Cathrin Rose in enger Zusammenarbeit mit der Drama Control, dem Kinder- und Jugendaufsichtsrat des Jungen Schauspielhauses, maßgeblich mitentwickelt hat.

Die Redaktion erwartet schon gespannt, dass der Vorhang gelüftet wird! Wer Thorsten Bihueges Arbeit ebenfalls live erleben will, kommt als Studi weiterhin kostenlos ins Schauspielhaus.

:levi

Videoinstallation. Kunst im Schauspielhaus Bochum, aus Singapur, für die Corona-Zeit. Und das alles, wie sollte es im Ruhgebiet anders sein, unter Tage! Ho Tzu Nyen macht’s möglich mit einem Multimedia-Kunstwerk aus dem Jahr 2017, das auch jetzt noch den Zahn der Zeit trifft. 

weiterlesen
Bild: Es geht wieder los im Schauspielhaus Bochum – Holt Euch schnell die letzten Karten! , Back to theatre! Bild:fufu

Vorbericht. Das Schauspielhaus Bochum ist zurück! Ab dem 10. Juni gibt es wieder erste Vorstellungen. Und die sind fast komplett ausverkauft!

weiterlesen
Bild: Der Saal ist leer – Die Leidenschaft bleibt aber voll! , Braucht wer ne Abkürzung? Screenshot: fufu

Rezension. Das Schauspielhaus Bochum macht jetzt Kino. Heimkino, um genau zu sein! Perfekt für Euer Home-Entertainment in der Isolation. 

weiterlesen
Bild: Unite: Gemeinsam mit Transpi und Schutzmasken, wie auch Schauspielhaus Dramaturgin Dorothea Neweling und andere Kulturschaffende in Bochum. , Der 8. Mai soll ein Feiertag des Gedenkens bleiben Bild: fufu

Kundgebung. Am 8. Mai vor 75 Jahren kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos. Es war das Ende eines schrecklichen Krieges und der NS-Herrschaft. Deutschlandweit, unter anderen am Bergbau-Museum, wurden aus diesem Anlass Kundgebungen von DIE VIELEN initiiert, die an diesen Tag erinnern.

weiterlesen
Bild: Kultur während Corona: Unter dem Stichwort #homestories veröffentlicht das Bochumer Schauspielhaus täglich eine Audiolesung., Viel zu tun Bilder: stem

Ruhrgebiert.  Auch während den derzeitigen Social-Distancing Maßnahmen kann man günstige Kulturangebote im Ruhrgebiet erleben. Das Beste: Ob man daheim bleibt oder raus geht, ist ganz den eigenen Wünschen überlassen.

weiterlesen
Bild: Man dachte, sie wären die Dinosaurier der Television: Jurassic Car-Cinema. Mit Parken!, Hup, Hup! Bild: fufu

Kultur. Corona machts möglich: Während an Freizeit-Aktivitäten nicht mehr viel geht, wenden sich immer mehr Menschen an ein fast ausgestorbenes Medium. Das Autokino!

weiterlesen
Bild: Noch im März zu sehen: Die unglaubliche Geschichte vom kleinen Roboterjungen., Interview Bild: Schauspielhaus Bochum, Birgit Hupfeld

Theater. Seit 2018 ist Mercy Dorcas Otieno Schauspielerin im Ensemble des Schauspielhauses und füllt Rollen in Stücken wie „Die unglaubliche Geschichte vom kleinen Roboterjungen“, „Hamlet“ und „Plattform/Unterwerfung“ mit Leben. Mit uns hat sie über ihre Heimaten gesprochen und wie es mit der Gleichstellung im Theater steht.

weiterlesen