Eine kirchlich initiierte Ausstellung über Flucht zeigt die Schicksale und Geschichten von Frauen unterschiedlicher Nationalität, Generation und Religion. Ein zeitlos relevantes Thema.

„Wie meine Hoffnung überlebt hat“ ist eine seit 2019 eröffnete Wanderausstellung in Bochum und Umgebung, durchgeführt von der ehemaligen Pfarrerin und Frauenreferentin Eva-Maria Ranft. Sie ist ein Projekt der Evangelischen Erwachsenenbildung Bochum, gefördert von den Evangelischen Kirchenkreisen Bochum, Gelsenkirchen, Wattenscheid und Westfalen. Sie zeigt die persönlichen Geschichten von Frauen aus verschiedenen Generationen und Nationalitäten, die Flucht und Vertreibung erlebt haben und nun im Ruhrgebiet leben. Zur Hälfte christlich, zur Hälfte muslimisch. Von der Flucht über das Mittelmeer bis hin zur Vertreibung aus Ostpreußen sind die Geschichten unterschiedlich, doch ob als Kind, junge oder alte Frau, Muslimin oder Christin, die Erfahrungen ähneln sich und verdeutlichen Flucht als allgegenwärtiges, globales Schicksal. Die Ausstellung wurde bereits an verschiedenen Orten im Ruhrgebiet gezeigt, wie an der Evangelischen Hochschule und bis zuletzt im Bahnhof Langendreer.

Die Wanderausstellung zeigt skulpturierte Figuren der Frauen und legt Koffer aus, aus denen Banner ragen, die die Geschichten durch Zitate der Frauen erzählen. Die Biografien, Erfahrungen, Gedanken und Gefühle der Frauen werden dargestellt und in Oberthemen eingeordnet, die die vielfältigen Aspekte von Flucht sichtbar machen, wie z.B. akute Gefahr- und Notsituationen, Entwürdigung, Perspektivlosigkeit, Trauma, das Fremdsein und Nichtverstehen, was ihnen dennoch Kraft und Hoffnung gegeben hat und wer geholfen hat. Die Frauen wurden interviewt, Dolmetscherinnen wurden hierfür engagiert. Alle Texte und Informationen sind auf Deutsch, Arabisch, Lingála und Englisch lesbar. Die Ausstellung ist emotional, berührend, intim und persönlich. Sie zeigt, wie Hoffnung auch in Krisen überlebt und wie Frauen sich einen Neuanfang erkämpfen, doch sie macht vor allem deutlich, dass Schicksale Geflüchteter steinig und hart sind, dass viel Armut, Gewalt, Not und Ungerechtigkeit existiert – und möchte an die Empathie und Solidarität des Besuchenden appellieren.

Die Worte der Ausstellung selbst reflektieren die Beweggründe, Tatsachen und Absichten der Idee:

„“Dass heute Menschen wieder die Erfahrung von Flucht und Vertreibung machen müssen, ist für uns schrecklich!“ Das sagten viele deutsche Frauen in kirchlichen Gruppen angesichts der Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Sie konnten sich gut in die

Situation hineinversetzen, da sie selbst noch im Mädchenalter während und nach dem 2. Weltkrieg flüchten mussten.“

„Die Ausstellung lädt dazu ein, die einzelnen Frauen mit ihren ganz persönlichen Erfahrungen wahrzunehmen. Sie eröffnet Begegnung und Verständnis statt Konkurrenz, Solidarität und Unterstützung statt Abgrenzung.“

„Frauen auf der Flucht sind, wie die Ausstellung zeigt, besonderen Belastungen ausgesetzt: Sie fliehen vor politischer Verfolgung, Krieg, Umweltkatastrophen, Armut und Gewalt. Sie fliehen vor sexualisierter Gewalt gegen Frauen, die zu allen Zeiten ein Mittel des Krieges ist. Sie fliehen aus frauenspezifischen Gründen, wie häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, „Ehrenmord“, Zwangsheirat oder Genitalverstümmelung. Sie fliehen als Schwangere und haben auf der Flucht oft die Verantwortung für kleine Kinder. Sie müssen in Asylunterkünften ohne schützende Privatsphäre leben, oft sind sogar Wasch- und Toilettenräume unzureichend nach Männern und Frauen getrennt.“

:Maja Hoffmann

Basierend auf dem autofiktionalen Roman von Necati Öziri, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war, entfaltet sich im Schauspielhaus Dortmund ein berührendes Panorama migrantischer Familiengeschichte.

Das persönliche Schicksal einer Familie wird verwoben mit übergeordneten gesellschaftlichen Missständen. Intim und nahbar und gleichzeitig höchst politisch und gesellschaftskritisch ist das Ergebnis, in dem die Lebensrealität der Geschwister Arda und Aylin und ihrer Mutter zur Sinnsuche und zum Kampf wird, der Stabilität, Gleichheit und Identität als fragile und schwindende Konstrukte zu erringen versucht. Geflohen aus dem Heimatland und vom Vater verlassen wird nun der Versuch in Deutschland eine Existenz, eine Jugend, eine Perspektive zu gestalten, zum Minenfeld und zur Wunde.

Arda liegt mit einer Autoimmunkrankheit, die seine Leber angreift, im Krankenhaus und schreibt an seinen abwesenden Vater Metin, der die Familie verlassen hat und zurück in die Türkei gegangen ist. Er reflektiert seitdem er weg ist über das Leben ohne ihn, welche Fragen er sich deswegen stellt, was er fühlt. Das Publikum erhält einen Einblick in das Leben einer Familie, die durch die Abwesenheit des Vaters versucht, eine Leerstelle zu füllen, eine Wunde zu heilen, ein Trauma zu überstehen, und sich einen Platz zu schaffen.

Die zentralen Themen Migration und Vaterlosigkeit korrelieren mit sozialer Ausgrenzung, einem Kampf gegen Bürokratie, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Missverstandenwerden und einem Gefühl von Sprachlosigkeit und Heimatlosigkeit. Man möchte der Familie einen Platz geben, die Gesellschaft und ernüchternde Realität verändern, die voll von solchen Schicksalen, Ungerechtigkeiten, Kluften und Diskrepanzen ist.

Die Mutter treibt verloren durch ihr Leben, trinkt viel, kümmert sich nicht um ihre Kinder, schreit sie an, bringt fremde Männer mit nach Hause – den Sex auf dem Dachboden hören die Kinder von unten. Es wird ersichtlich, dass sie von der Flucht und dem Verlassenwerden traumatisiert, ratlos, perspektivenlos und geschädigt zurückbleibt. Die Geschwister sind sich gegenseitig am nächsten, müssen aufeinander aufpassen, in diesen Lebensumständen und in diesem System lernen, irgendwie zu funktionieren. Dann jedochist Arda ganz allein – seine Schwester Aylin kommt in eine Pflegefamilie und die beiden entfremden sich.

Auf der Bühne finden sich zwei Ebenen: Simultan werden Erinnerungen sowie gegenwärtiges Geschehen dargestellt. Auch Ardas innerer Monolog wird visuell dargestellt, die Bühne wird zum Schauplatz seiner Gedankenwelten. Seine Erinnerungen und Schilderungen werden auf der Bühne lebendig, als Teil von seiner Geschichte und Identität kommen sie aus der Mitte seines nun krankheitsbedingt bedrohten Seins: „Erzählen ist wie Wasser, Metin. Einmal unterwegs, findet es seinen Weg von selbst,“ sagt Arda, und teilt somit auch ein Stück seiner Leidenschaft fürs Erzählen und die Literatur. Sinnbildlich ist diese Metapher auch Ausdruck seiner Widerstandsfähigkeit: Er bahnt sich seinen Weg, trotz aller Widrigkeiten, er zeigt uns, wie sich seine Geschichte nur schwer und dennoch überwunden entfalten musste. Das Leben, das am Rande der Gesellschaft ausgegrenzt wird, ist dennoch da und kann nicht ignoriert werden.

Die schauspielerische Leistung überzeugt: Sowohl die Geschwister als auch die Mutter wirken authentisch, nahbar und verletzlich. Der Tiefe und Schwere des Themas werden die Darsteller:innen gerecht; emotionale Szenen berühren und bewegen, statt pathetisch oder oberflächlich zu wirken. Besonders eindrucksvoll ist der Chor des Migrantinnenvereins Dortmund, der durch seine Stimmenvielfalt noch mehr Gewicht beiträgt – noch mehr migrantischen Stimmen wird Gehör verschafft und eine Bühne geboten, noch stärker wird das Ausmaß migrantischer Lebensrealitäten und ihrer Hürden deutlich und spürbar. Der Chor wirkt wie ein Wiegenlied, in dem die Familie eingelullt und aufgefangen wird. Das Leben im Exil wird durch den Chorgesang untermalt, mal als solidarische Unterstützung, mal als wehleidig und bedeutungsschwer. Als Gegenpol dient der „Chor der Deutschen“, der das Klischee des privilegierten, rassistischen deutschen Bürgers ironisch aufgreift. Diese Perspektive findet ihren Höhepunkt als Aylin auf einer Party ist. Das Lied „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino ertönt und weckt sofort Assoziationen zum medial viel beachteten ausländerfeindlichen Sprechgesang. Subtil und geschickt nutzt Julia Wissert also dieses Lied, um eine rassistische, beklemmende Atmosphäre zu schaffen. Als dann noch ein Partygast, der betrunken von Aylin angemacht wird, obwohl er offensichtlich desinteressiert ist und ihren Kussversuch abweist, sagt, „er stehe nicht auf Affen“, wird die enorm ausgrenzende, fremdenfeindliche Umgebung ersichtlich, in der sich die Familie behaupten muss. Der Kampf um Sinnstiftung und das Finden einer eigenen Identität in einem solchen Land, das politisch immer rechter aufgeladen ist, wird durch die Darstellung der stereotypen und ignoranten Deutschen humorvoll und dennoch aufrüttelnd inszeniert. Der Selbstmord des Vaters von Ardas bestem Freund im Stück zeigt, wie ausweglos, belastet und erniedrigt sich migrantische Menschen in ihrem Leben oder ihren Jobs in Deutschland fühlen können. Dass sie es oft nicht wagen, zu träumen, ihren Wünschen nachzugehen, dass sie sich minderwertig behandeln lassen, von Behörden und Bürokratie, denen sie ihr Deutschsein beweisen müssen, die sie genau unter die Lupe nehmen, als seien sie eine Gefahr. Arda möchte Literatur studieren und schreiben, worüber sein bester Freund nur lacht. Der Verlauf einer migrantischen Existenz in Deutschland scheint von Fremdbestimmung und ungeschriebenen Gesetzen bestimmt. Chancengleichheit existiert nicht, eine Zweiklassengesellschaft auf migrantischen Rücken entsteht und prallt in ihrer traumatischen und verheerenden Wucht auf die Lebensrealitäten der „Anderen“ zurück, die im Sinne des „Othering“ nicht auf Augenhöhe mit anderen Deutschen leben – Dienstleistungsjobs werden in der Inszenierung als das Los vieler migrantischer Menschen gezeigt.

Die Krankheit Ardas wird von ihm sachlich beschrieben; sie sei keine „Metapher in einem Bildungsroman für Kanaken“. Jedoch wird sie vom Dramaturgen in Dortmund als Metapher inszeniert. Jasco Viefhues verdeutlicht sie in seinem Programmheft als Sinnbild für die Stellung der migrantischen Familie in der deutschen Gesellschaft, die sie abstoßen und ausgrenzen will, so wie auch Ardas Leber nicht mehr mit ihm zusammenarbeitet. Obwohl Arda krank ist, scheint er von allen Figuren am gesammeltsten zu sein, als hielte er die Familie und seine erlebte Welt zusammen durch seine Erzählungen und Einordnungen, die er ruhig, reflektiert und dennoch emotional darlegt. Er verkörpert Lebenswillen, Intelligenz, Poesie, Humor und Mut, er gibt die Hoffnung nicht auf, bemüht sich, trotz aller Widrigkeiten Ordnung und Verständnis zu schaffen: „Mein Name ist Arda Kaya und es geht mir gut,“ sagt er am Ende, abgeklärt. Es wirkt, als wäre ein Stück Erlösung von ihm gefallen, nachdem er die Vergangenheit und den Leidensweg erzählt und somit noch einmal durchlebt hat. Ganz im Stile Julia Wisserts schafft diese Inszenierung den Versuch einer Utopie, in der Gleichheit und Empathie gelten wollen, was jedoch letztendlich ernüchternder Realität weichen muss: Migrantische Lebensrealitäten wie diese sind belastend und dennoch hoffnungsvoll, sinnhaft und berechtigt – eine Ambivalenz, die auch durch den verzweifelten Hedonismus der Mutter und ihr Feiern und Trinken mit Freundinnen ersichtlich wird. Wisserts Handschrift gibt den Figuren eine Suche nach Autonomie und Ermächtigung in einer kalten Gesellschaft mit auf den Weg und zeigt sowohl ungeschönte und desillusionierende Konsequenzen, als auch menschliche Nähe, Träume, Umwege und Ausflüchte.

:Maja Hoffmann


Für Frauen gelten im Sommer immer noch nicht die gleichen Spielregeln. Catcalling und Belästigung gehören zur Tagesordnung wenn Haut gezeigt wird, einfach nur, weil es unerträglich warm ist und man bei jedem Schritt schwitzt. Ich wünschte, ich würde in einer Welt leben, in der Frauen einfach Menschen sein dürfen statt nur ihr Körper, der per se sexualisiert wird. Ich kann es auch vollkommen nachvollziehen, keinen BH tragen zu wollen, der zusätzlich vollgeschwitzt werden würde, der beengt und luftundurchlässig und unbequem ist. Aber die Brust einer Frau ist ja was Anzügliches und dann sieht man die – vielleicht sogar Nippel, das geht ja gar nicht, dass eine Frau mit dem, was eben an ihrem Körper ist, herumläuft und sich wohlfühlen will und dann wundert sie sich noch, wenn sie belästigt wird ! (Ironie off) Hey, ich denke mir im Sommer oft, wie entspannt es sein muss, als Mann obenrum einfach blankziehen zu können. Ich rasiere meine Beine nicht, einfach, weil ich nicht einsehe, dass Behaarung bei einer Frau eklig und falsch ist und bei Männern normal. Wenn das Existieren im normalen menschlichen Zustand schon feministisch und anstößig sein soll, dann bin ich das eben. Und wenn ich mal kein Bock auf die Normen und Blicke der Welt habe, mich zu unwohl für Beinfreiheit fühle und stattdessen eine lange Hose trage, ist das auch vollkommen okay. An dieser Stelle bombastisches Sideeye an eine Aussage, die ich letztens im Radio gehört habe: „Ich verstehe echt nicht, wie Leute bei diesen Temperaturen lange Hosen tragen können ey, ich würd die denen am liebsten runterreißen!“ Okay danke, dass Du jedem die Befreiung wünschst, aber beim Schreiben oder Vorbereiten der Sendung hättest Du nochmal drei Meter weiter denken können. In diesem Sinne: Ein Körper ist nur ein Körper! Der sich aber in einer Gesellschaft bewegt, die ihn bewertet. Leider.

:maja


Am 17. Juli 2025 war Ski Aggu zum Auftakt des Ruhr Games Festivals im Rahmen der FISU University Games in Bochum. Für nur 18 Euro konnte man seine elektrisierende Performance auf der Wiese vor der Jahrhunderthalle miterleben.

Der Westpark war übersät mit Menschen, einige von ihnen mit Skibrille. Getränke- und Essensstände und Halfpipes zum Skaten verwandelten die Wiese in ein einladendes Freizeitgelände, das die Verbindung von Kultur und Sport als Agenda des Festivals veranschaulichte. Die Einlasskontrolle war schnell und locker, dann stand man auch schon auf der belebten Wiese vor der Bühne. Die Sonne knallte herunter, man wartete. Dann ging es los und Filow betrat unter viel Gekreische als Voract die Bühne. Er schaffte es, das Publikum mitzureißen, das besonders beim Song „Rasenschach“ bebte. Als Filow dann fertig war, ließ Ski Aggu allerdings ziemlich lange auf sich warten. Doch dann endlich fiel der Vorhang mit seinem bürgerlichen Name und Verweis auf seine gewohnt ironische Quatschwebsite – und vor der Menge stand der Künstler Ski Aggu.

Er eröffnete mit seinem Hit „Deutschland“, den die Crowd begeistert mitsang, während sich hinter ihm die kolossale Bühnenkulisse offenbarte: Eine riesige Statue von Ski Aggus Kopf. Während einer seiner bekannten Hits nach dem nächsten lief, inklusive derer mit bekannten Featuregästen wie Zartmann („Wie du manchmal fehlst“), ließ die Show in ihrer Gestaltung kaum Wünsche übrig: Pyrotechnik, Flammen, Nebel und Konfetti sorgten für eine visuell beeindruckende Atmosphäre. Der längst erreichte Kultstatus des Rappers, seine Marke und sein Image, wurde durch die vielen Fans mit Skibrille ersichtlich. Selbst ein kleiner Junge auf den Schultern seines Begleiters trug sie und wurde zum „Maincharacter“ im Publikum.
Ski Aggu ist für seine inklusive und rücksichtsvolle Mentalität bekannt. So bietet er spezielle Bereiche für Schwangere und neurodivergente Personen auf seinen Konzerten und forderte auch zu einem expliziten FLINTA-Moshpit auf. Als ein oberkörperfreier Mann dennoch intervenierte und in den Pit wollte, wies Ski Aggu ihn zweimal in die Schranken, indem er ihn als Macker bezeichnete, der zur Seite gehen solle. Eine klare Ansage und feministische Positionierung, die er auch in seiner Musik vermittelt und für die er nicht selten von seinen Fans gefeiert wird. Am Ende des Konzerts überraschte der Auftritt des „VfL Jesus“ aka Thomas Dragunski, einem durch Social Media bekannten Fan des Bochumer Fußballvereins. Für die Bochumer Crowd war das eine Würdigung ihrer heimischen kleinen Ikone und Ski Aggu trug sogar ein Trikot mit der Aufschrift „VfL Jesus“ und Dragunskis Gesicht drauf. Gleichzeitig performte Ski Aggu seinen noch unveröffentlichten Song „Nein Schatz“. Das endgültige und abschließende Highlight der Show war, als „Bochum“ von Herbert Grönemeyer gespielt und von Ski Aggu und den Fans inbrünstig mitgesungen wurde – eine berührende, gemeinschaftliche Szene und ein würdiger Abschluss in der Stadt, die vom Klassiker besungen und wertgeschätzt wird, auch von Ski Aggu an diesem Abend.

Ski Aggu überzeugt mit seiner eingängigen, schnellen Musik, die für Partystimmung und feel good Mentalität steht – aber auch für Verletzlichkeit, zeigte er so auch seine ruhigen Balladen. Er schmiss Merch ins Publikum, sorgte für Inklusion, kam einmal selbst ins Publikum. Er weiß, wie man Nähe zum Publikum herstellt und die Jugend erreicht und einfängt. Er repräsentiert den politischen und dennoch lockeren, humorvollen und optimistischen Zeitgeist und bleibt als Künstler trotz des großen Erfolges ein nahbarer, engagierter, emphatischer Mensch. So war sein Konzert im Westpark ein gelungenes Highlight im Ruhrpottsommer: Zugänglich für viele Fans aufgrund des niedrigen Eintrittspreis, inklusiv, mitreißend und spektakulär gestaltet – bemüht um Haltung und Community. Als Auftakt des Festivals würdig und eindrucksvoll, da er es schafft, viele Menschen mitzuziehen, mitzudenken und zu erreichen, weil sein Rap nicht Ellbogen und Makermentalität ist, sondern Bewusstsein, Umarmung, Solidarität und Leichtigkeit.

:Maja Hoffmann

Am 18. Juli 2025 fand erneut zum Semesterende die studentische Werkschau der Theaterwissenschaft und Szenischen Forschung im Blue Square statt – das Podest. Ab 16 Uhr erwartete die Besuchenden Programm, Getränke, Snacks, Impressionen und gleichgesinnte Gesprächspartner:innen.

Los ging es mit dem Dokumentarfilm „Onkel Rudi“ von Katharina Fröhlich um 16:15 Uhr in Studio 3. Die Künstlerin selbst sagt über ihr Werk, dass sie sich darin mit ihrer Familiengeschichte in der NS-Zeit auseinandersetzt, da ihr Großonkel früh freiwillig zur Deutschen Luftwaffe ging und im Spanischen Bürgerkrieg Kriegsverbrechen beging. Gegenüber von Studio 3 konnte man sich die ganze Veranstaltung über mit Emrys Perera einen Timeslot buchen – zum Vorlesen. Weiter ging es im Zeitplan um 17:45 Uhr im Studio 5 mit Alyssa Leuschner und ihren „Vienna Diaries“, in denen sie ihr Auslandssemester in Wien rekapituliert. Sie kündigte ihre Lesung als „emotionale Achterbahnfahrt zwischen Höhen und Tiefen“ an, und das waren ihre Erfahrungen auch: die komplette Gefühlspalette zwischen Ekel, Trauer, Aufregung und Inspiration. Chaos und Unerwartetes, Alltagsanekdoten, Probleme, Vanillesirup zu finden. Sich im teuren Wien ohne das Benutzen der ekligen WG-Küche versorgen, von fremden Mitbewohnern angebaggert werden. Mangelernährung, Stress, emotionale Belastung, der Tod vom Opa in Deutschland und das Hin- und Herfliegen.

Die beim Podest ebenfalls gezeigte interaktive und erprobende Darbietung „On/Off“ von F* Kemmether war aufgeteilt in zwei Timeslots: Beim ersten Teil um 18:30 in Studio 3 wurden die Partizipierenden im abgedunkelten Raum dazu aufgefordert, mit der Künstlerin zu interagieren, die ihre Augen verbunden hatte. In der Beschreibung des Projekts hieß es, „dabei den Prozessen des Begegnens nachzugehen, zu zweit und in der Gruppe. Begegnungen, die solcherart womöglich nur in der merkwürdig ´fremden Nähe´ einer öffentlichen Veranstaltung zustande kommen können.“ Mit einem starken Kontrast zur Dunkelheit und Stille ging es um 19 Uhr in Studio 5 weiter: Vor voll belegten Plätzen zeigte uns Kerem „Bolano“ Gülan seine Darbietung von Tanzperformances zu verschiedenen Songs von Michael Jackson, inklusive passender Verkleidung und kurzen Satzeinschüben zwischen den Songs, die von einem kleinen Jungen erzählen, der lieber tanzen als Hausaufgaben machen wollte, der unter der Dusche tagträumte, der weitertanzte, immer wieder, auch als es ihm schlecht ging.

In „Wir. Unangenehm!“ Von Selma und Flynn, das um 20:10 Uhr in Studio 3 stattfand, wurden die Zuschauenden ebenfalls eingebunden und aufgefordert, den beiden Künstler:innen auf Zettel zu schreiben, was sie bestimmt oft hören. Damit sollten bewusst Schubladendenken, Klischees, Beleidigungen und Vorurteile entlarvt und entlockt werden, um danach gemeinsam darüber nachzudenken – in bewusst erzeugter unangenehmer Atmosphäre, in der Selma und Flynn spontan, sarkastisch und humorvoll auf die Aussagen antworteten und sie oft in einem Eimer Wasser „ertränkten“.

Was auf Etage 5 noch zu entdecken war, waren Gemälde von Elisavet Kenanoglou und eine Gedichtwand von Alyssa Leuschner, an der partizipativ an gemeinschaftlichen Gedichten mitgewirkt werden konnte. Auf Etage 3 lief der Kurzfilm „Apfelkuchen“ von Judith Grytzka – dokumentarisch und experimentell, in dem unter anderem Alltag, Rituale und das elterliche Zuhause gezeigt werden, und das vermeintlich Banale thematisiert und sichtbar wird im Kontext von Fürsorge, Vergänglichkeit und Zugehörigkeit – Was bleibt, wenn Handlungen vorbei sind? Die Künstlerin zeigt das Zuhause als Spur von Nähe, Erinnerung und Zustand. Wie immer wurden beim Podest auch ein Buffet mit Snacks und kostenlose Getränke angeboten – und die angeregte Stimmung zeigte, dass die Werkschau immer wieder ein kurzweiliges und interessantes Event ist, um das Semester abzuschließen und bekannte Gesichter noch einmal zu sehen.

:Maja Hoffmann

Bild: © Lalo Jodlbauer

Gundhi“ – ein Wortspiel aus Gandhi und dem englischen Wort für Waffe, das die Dialektik einer Welt zwischen normalisierter Gewalt und dem Wunsch nach Frieden offenbart, prägt die Inszenierung des Kollektivs „De Warme Winkel“ am Schauspielhaus Bochum.

Gleich zu Beginn tarnen sich die Darsteller:innen im Vorraum als Mitarbeitende des Schauspielhauses. Einer von ihnen läuft wild schreiend herum, verpönt das Theater als heuchlerisch und gewaltverherrlichend, eine andere Darstellerin prügelt sich obenrum nackt mit ihrem Kollegen, der am Boden festgehalten wird. Eine der Besucherinnen wird gefragt, ob sie Netanjahu töten würde, wenn keiner es mitbekommen und sie nicht bestraft werden würde und sie antwortet mit „Ja“. Ein paar Besucher:innen werden auserwählt und in den Saal begleitet, bevor der allgemeine Einlass stattfindet. Mit einer Kamera wird alles gefilmt und auf Bildschirme auf der Bühne und im Vorraum übertragen, so auch das den Einlass begleitende Aufzählen von Künstler:innen, Schriftsteller:innen, Schauspieler:innen, Musiker:innen, Instrumenten, Gerichten, Filmen, politischen Organisationen, sogar Sexstellungen. Alles Mögliche wird von einem der Schauspieler vorgelesen und mit einem knappen „Ja“ oder „Nein“ kommentiert. Im Saal angekommen, sitzen die zuvor ausgewählten Besucher:innen auf Gymnastikbällen im Planetenlook auf der Bühne verteilt. Eine Zeit lang werden sie erst einmal befragt und dabei live gefilmt und auf den Bildschirm gestreamt. Sie beantworten, welche Politiker:innen ihnen Angst und welche Hoffnung machen.

Als es mit der Inszenierung des Kollektivs dann richtig losgeht, entfaltet sich eine Aneinanderreihung von experimentellen Szenen, die sich nicht nur mit Gandhi, seinen Prinzipien und Schwachstellen kritisch auseinandersetzen, sondern auch Kollektivität als Mittel nutzen, um Frieden in seinen realistischen Möglichkeiten und Krieg in seiner Allgegenwärtigkeit zu offenbaren. Wie lässt sich Frieden denken in einer Welt der Gewalt? Wege müssen erprobt und ertastet werden, um Frieden als Gefühl und Handlung zu definieren. Was durchscheint in dieser Inszenierung, ist, dass der Glaube an ein größeres Ganzes wichtig ist, ein Gefühl von gemeinsamer Stärke, die vorrangig gefühlt wird, bevor sie im Kopf Einzug findet. Frieden wird zunächst einmal gefühlt und über ein Handeln aus (Mit-)Gefühl in die Welt getragen, bevor theoretische und strukturelle Komponenten eine Bedeutung haben.

Im imitierten Gandhitempel werden barfuß Gespräche geführt, wird sich umgezogen und zur Waffe gegriffen, um zum spirituellen Kämpfer zu werden. Die Problematik hinter Gandhis Philosophie eines gewaltlosen Widerstands wird thematisiert, ein Interview mit ihm simuliert, in dem deutlich wird, dass auch er kein perfekter Mensch war, sondern unter anderem. durch seine Worte über Juden, die sich gewaltlos untergeben sollten und seiner Definition Hitlers als Freund fragwürdig. In der Choreografie der spirituellen Kämpfer*innen steckt die Vermutung, dass Frieden etwas ist, das errungen und erkämpft werden muss, weil Krieg zum Monopol der Realität und zur einzigen Währung geworden zu sein scheint. Zuschauende werden zum Nachdenken angeregt darüber, in welchen Kategorien Frieden operieren kann. Ein transparenter Spiegel auf der Bühne zeigt eine zweite, hintere Ebene und zugleich das Publikum. Frieden und Diskurs müssen auf Augenhöhe stattfinden, der Mensch muss seine Stimme hören, ohne die Lautstärke des Anderen zu übertönen, genau wie in einem Chor – so die Metapher, die für einheitliche Kraft verwendet wird. Dass Friedensbemühungen nicht unterwürfig und leise sein müssen, sondern manchmal rebellisch und wild sind, klingt im Tempel im Bericht eines Lebensgefühls an: „Da war ich mit den anderen Kindern im Sommer in diesem christlichen Camp, ohne jeglichen Punk,“ klagt eine der Besucherinnen.

Die entscheidende, die Inszenierung charakterisierende Frage wird gestellt, laut, fordernd, einschüchternd und mutig: „Können wir lernen, den Frieden zu lieben, so wie wir gelernt haben, den Krieg zu lieben?“ Die Perversion und Grenzerfahrung des Krieges wird entlarvt: Dass Menschen, die den Krieg erlebt haben, nicht darüber reden wollen, denn wie sollen sie erklären, dass der Krieg ihnen Dinge offenbarte und Seiten des Menschseins erfahrbar machte, die ohne Lebensgefahr nicht einmal ansatzweise greifbar wären? Wie ist die Gewalt zu überwinden, die den Menschen schon immer fasziniert, ob er will oder nicht? Welchen Wert hat Frieden, wenn Krieg zum Menschsein dazugehört, zu einer Welt, die ruhelos, größenwahnsinnig und ungerecht ist? Am Ende singen die Darsteller:innen lange, wiederholend, einprägsam und nachhallend dennoch den Friedenswunsch: „Mögen alle Wesen frei und friedlich leben,“ das Publikum, animiert dazu, ein Teil des großen Ganzen zu sein, stimmt mit ein und darf dieses Friedensgefühl mittragen. Die Widersprüchlichkeit des Menschen, die Dilemmata, die in den Bestrebungen nach Frieden stecken, das Ying und Yang des Guten und Bösen, all das wird ersichtlich als Unmöglichkeit, den Frieden als Normalzustand zu denken, und doch als Hoffnung und Utopie, ihn als wichtigeren Teil im Gegensatz zu erkennen, zu verteidigen und anzustreben. Nur im Dunkeln, wenn die Zuschauenden nichts sehen und im Saal nur dem Hören ausgesetzt sind, entfaltet sich die Möglichkeit von Fantasie und Vorstellungskraft, die es für Frieden braucht: Im Dunkeln sind wir gezwungen, hinzuhören, einer Geschichte zu lauschen, einer Fragestellung, die unsere Bereitschaft zur Gewaltlosigkeit, zur Empathie, Nächstenliebe und Menschlichkeit erfragt: Würdest du das Kind des Feindes, der deinen Vater tötete, mit Liebe willkommen heißen? Ein berührender Aufruf zum Hinterfragen von Fronten, Feinddenken, Abgrenzung und Hass. Leitlinien werden sanft gezogen, wie Versuche in den Saal und auf die Bühne geworfen, Fragen und fehlende Antworten koexistieren in dieser Inszenierung ohne sich zu widersprechen – so wie es in der echten Welt vielleicht auch sein sollte. Widersprüchliches muss sich nicht bekriegen, sondern kann nebeneinander und voneinander lernen, sich austarieren, den Weg des geringsten Leids suchen?

:Maja Hoffmann