Soziale Ungerechtigkeit. Seit Juli 2016 sollen Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM) den deutschen Arbeitsmarkt stärken. Dieses Konzept wird nun in Bochum umgesetzt. Wir fühlen uns an eine ehemals gescheiterte Sozial- und Arbeitsreform erinnert. Die Betroffenen können das Trauerlied nun im Chor singen.
„Menschen, die eine gute Bleibeperspektive haben, sollen möglichst zügig in unsere Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt integriert werden.“ So hieß es im Entwurf der Bundesregierung für ein Integrationsgesetz, das dann im Juli 2016 verabschiedet wurde. Das Gesetz nahm durch Maßnahmen wie die partielle Abschaffung der Vorrangprüfung oder den Verzicht auf Abschiebungen während einer Ausbildung beinahe humanitäre Züge an. Ein weiterer Blick in das Gesetz lässt jedoch fragen, ob nicht eine neoliberale Motivation in der Debatte um Integration federführend gewesen sein muss. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde das aus Bundesmitteln finanzierte „Arbeitsmarktprogramm ‚Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen‘ (FIM)“ initiiert. In der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlassenen Richtlinie vom 20. Juli 2016 wurden arbeitsmarktpolitischer Hintergrund und Ziele formuliert: „Flüchtlinge sollen die Wartezeit bis zur Entscheidung über ihre Anerkennung, die oftmals in einer Erstaufnahmeeinrichtung oder anderen Sammelunterkünften verbracht wird, durch eine sinnvolle und gemeinwohlorientierte Beschäftigung überbrücken.“ Die Aufwandsentschädigung ist im AsylbLG (Asylbewerberleistungsgesetz) §5 (2) festgehalten – 80 Cent je Stunde.
FIM in Bochum
Diese umstrittene Integrationsmaßnahme findet nun ihren Weg nach Bochum: Gegen die Stimmen der Linksfraktion haben SPD, CDU und Grüne gemeinsam beschlossen, sogenannte 80-Cent-Jobs für Geflüchtete einzuführen. In der öffentlichen Verwaltungsmitteilung vom
17. März wird von insgesamt 345 erhaltenen Plätzen zur Durchführung der FIM berichtet – 73 „interne“ und 272 „externe Plätze“. Unterschieden wird hier zwischen Unterstützungstätigkeiten innerhalb von Flüchtlingseinrichtungen („interne FIM“) – „zum Beispiel Hilfe bei der Essensausgabe, Unterstützung bei handwerklichen Arbeiten oder Reinigungstätigkeiten“ – und zusätzlichen Tätigkeiten außerhalb von Flüchtlingseinrichtungen („externe FIM“). Letztere bieten jedoch viel Interpretationsraum, weswegen Die Linke im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales eine Anfrage stellte. „Wir wollen von der Verwaltung wissen, welche Träger wie viele dieser 80-Cent-Jobs schaffen, und welche Arbeiten die Geflüchteten da genau für 80 Cent pro Stunde erledigen sollen“, sagt Rolf van Raden von Die Linke im Rat der Stadt Bochum. Zum 1. April sind bereits 20 interne und 174 externe Bochumer Plätze bewilligt worden.
Integration um jeden Preis
Ausgestaltet wurde das Arbeitsmarktprogramm an den vorher entstandenen Voraussetzungen des §5 AsylbLG. „Betroffen sind nur Menschen, die noch nicht anerkannt sind und Leistungen nach dem AsylbLG erhalten“, erklärt Norbert Hermann von Bochum-Prekär. Die formulierten Intentionen rund um die niedrigbezahlten FIM versprechen Vieles. Doch eine Frage steht unter angehaltenem Atem im Raum: Wie nachhaltig ist diese Art der Integration? Da – wie in obigem Zitat formuliert – Asylsuchende die „Wartezeit bis zur Entscheidung über ihre Anerkennung“ überbrücken sollen, kann diese Arbeitsmarktannäherung in die Leere führen. Oder mit anderen Worten: in Abschiebung. Dem Versprechen von langfristiger Eingliederung haftet vor dem Hintergrund europäischer Asylpolitik ein zynischer Beigeschmack an. Denn: Trotz verrichteter Arbeit – in einem Umfang von 30 Stunden pro Woche, nach einem Zeitraum von bis zu sechs Monaten und gegen eine Aufwandsentschädigung von 26 Euro pro Woche – kann dem gestarteten Integrationsverfahren ein abruptes Ende gesetzt werden. Hinter dem, was hier als „Integration“ bezeichnet wird, verbirgt sich die (temporäre) Verwertbarkeit geflüchteter Menschen auf dem Arbeitsmarkt.
Arbeit um jeden Preis
Doch der Klang leerer Versprechungen ist ein wiederkehrendes Thema dieses Trauerliedes: Scheiternde Arbeitsmarktintegration, Lohndumping und Arbeitszwang – das kennen wir als Ein-Euro-Jobs.
„Grundlage ist der Paradigmenwechsel durch Hartz IV“, so Norbert Hermann. Im Zuge des Reformpaketes Agenda 2010 seien damals ähnliche Maßnahmen getroffen worden. Eben jenes habe sich in der Vergangenheit als Garant für soziale Ungerechtigkeit entpuppt. „Die Logik der Ein-Euro-Jobs wird eins zu eins übernommen“, sagt Rolf van Raden. „Sie wird jetzt nicht nur auf ALGII-BezieherInnen angewendet, sondern auch auf Geflüchtete, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen.“ Die damals getroffenen Integrationsmaßnahmen führten nur geringfügig zu festen Anstellungsverhältnissen, dafür aber zu mehr sozialer Ausgrenzung. Das Resultat findet sich auch im Eingliederungsbericht 2014 der Bundesagentur für Arbeit. In diesem wird die „geringe Eingliederungsquote“ von Ein-Euro-JobberInnen damit begründet, „dass eine sofortige Integration in den ersten Arbeitsmarkt nicht das primäre Ziel dieser Maßnahme ist.“ Im Vordergrund stünde die „(Wieder-) Herstellung und Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit von arbeitsmarktfernen Personen“.
Die Folgen der Hartz IV-Reformen sind rundum negativ: Niedriglohn- und Leiharbeitssektor gestärkt, die Armutsquote von LeistungsempfängerInnen erhöht und die Quote der Langzeitarbeitslosen unverändert. Und dieses
(Miss-)Erfolgskonzept feiert nun sein Comeback. Zusätzlich sieht van Raden eine systematische Diskriminierung und bezeichnet die 46 Prozent Lohnunterschied als „zusätzliches Signal aufgrund der rassistischen Stimmung innerhalb der Gesellschaft“. Demgegenüber sieht Norbert Hermann von Bochum-Prekär keine rassistisch motivierten Beweggründe, sondern eine subtile HartzIV-Weiterführung, eine weitere Unterschichtung des Arbeitsmarktes. Hier wird Arm gegen Ärmer ausgespielt. Die Demütigungen sind symbolisch und real schmerzhaft, doch laut van Raden bleibe diese Realität leider bestehen: „Es wird so sein wie bei den 1-Euro-Jobs: Wenn Menschen durch zu geringe Regelsätze in Armut gehalten werden, dann machen selbst diese paar Euro einen Unterschied.“
:Marcus Boxler
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