„Nihil agere delectat – Nichtstun ist angenehm“ können sich ab sofort auch Lehramtsstudierende sagen und sich entspannter ihrem Berufswunsch nähern. Nach vier Jahren der Prosteste und des Engagements vieler Studierender wurde die Latinumspflicht nun endlich abgeschafft.
Jahrelang kämpften die Fachschaften gegen den Latinumszwang für Studierende, die Lehrer oder Lehrerin werden wollen. Ende letzten Jahres gelang der Durchbruch: Die Reform der LehrerInnenausbildung in NRW will die Lateinpflicht für FremdsprachenlehrerInnen abschaffen. Die Akademie der Wissenschaften und Künste NRW (AWK NRW), der auch 24 Bochumer WissenschaftlerInnen angehören, sieht damit das Fremdsprachenstudium auf ein „unvertretbar tiefes Niveau“ gesunken und diskutierte am 8. September öffentlich über dieses Thema.
Allmählich trägt die Initiative gegen den Latinumszwang Früchte: Nach einer erfolgreichen Podiumsdiskussion im vollbesetzten Hörsaal Mitte April 2013 sowie einer Initiative der Studierendenfraktion im Senat der Ruhr-Uni konnten inzwischen 8.300 Unterschriften für eine Abschaffung des Latinumszwangs für Lehramtsstudierende gesammelt werden. Bereits im Mai wurde der zuständigen Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) eine vom AStA zusammen mit interessierten Studierenden, der FachschaftsvertreterInnenkonferenz (FSVK) sowie der studentischen Senatsfraktion verfasste Resolution zur Abschaffung der Latinumspflicht überreicht. Vergangenen Freitag informierte Löhrmann bei einem Gespräch u. a. mit StudierendenvertreterInnen sowie weiteren LandespolitikerInnen, VertreterInnen des Philologenverbandes und Klassischen PhilologInnen über die weiteren gesetzgeberischen Schritte, um den Lateinzwang für die Lehrämter möglichst abzuschaffen oder die Anforderungen zumindest zu reduzieren.
Am Freitag, den 19. April 2013, veranstaltete der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Ruhr-Uni eine Podiumsdiskussion zur Abschaffung der Latinumspflicht. Nachdem bereits der Senat einer vom AStA und den Fachschaften erarbeiteten Resolution zur Abschaffung der Latinumspflicht für Lehramtsstudiengänge zugestimmt hatte, sollten bei der Podiumsdiskussion auch VertreterInnen aus der Politik Position beziehen. Durch die Bank waren sich alle DiskutantInnen darüber einig, dass die Latinumspflicht in der jetzigen Form zumindest stark reformbedürftig ist.
Unverhältnismäßiger Mehraufwand, zusätzlicher Stress mit der Stundenplangestaltung und dem Bafög-Amt oder gar die Unmöglichkeit, sein Studium in Regelstudienzeit zu beenden: Die Latinumspflicht für Lehramtsstudiengänge ist bei den Studierenden in NRW spätestens seit der Bologna-Reform ziemlich verhasst. Nach mehreren kooperativen Gesprächen mit den studentischen GremienvertreterInnen unterstützt der Senat der RUB nun offiziell die Abschaffung der Latinumspflicht. Jetzt muss nur noch die Landesregierung von der gleichen Sache überzeugt werden, um das Lehramtsstudium vieler Fächer wieder sinnvoller und studierbarer zu gestalten.
Bereits 2009 gab es eine Initiative aus der studentischen Basis heraus, die Latinumspflicht für Lehramtsstudierende abzuschaffen. Tatsächlich wurde mit dieser Unterschriftenaktion eine Öffentlichkeit geschaffen und die Diskussion auf breiterer Ebene angefacht, doch verblieben diese Bemühungen leider ohne Wirkung.
Noch sieht die Lehramtszugangsverordnung (LZV) das Latinum als Voraussetzung für die Ausübung des LehrerInnenberufes an Gymnasien und Gesamtschulen für folgende Fächer vor: Englisch, Französisch, Geschichte, Italienisch, Katholische Religion, Spanisch; in Philosophie entweder das Latinum oder das Graecum; in Latein und Griechisch sind beide Zertifikate erforderlich. Damit ist die Verordnung „gegenläufig zu dem KMK-Beschluss (Kultusministerkonferenz, Anm. d. Red.) vom 16. Oktober 2008“, wie es in der Resolution heißt, die am vergangenen Donnerstag vom Senat angenommen wurde.
Die zweite Welle studentischen Engagements nahm ihren wirkungsvollen Anfang im Mai 2012. Da besuchte NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze auf Einladung der Juso-Hochschulgruppe im Rahmen der Reihe „SozialdemokratInnen in touch“ ihre Alma mater, die RUB, und nahm Fragen aus der Studierendenschaft auf. Dem Studenten Jan Cassel, der sie auf die unhaltbaren Zustände im M.-Ed.-Studium ansprach, sicherte sie lediglich schwammig zu, sich der Sache anzunehmen. Eindeutig effektiver wurde sich an der Uni um die Sache gekümmert: Zusammen mit betroffenen Studierenden begann der damalige Referent für Hochschulpolitik Tim Köhler an einer Resolution zu arbeiten, welche die Abschaffung der Latinumspflicht fordert.
Zahlreiche Räder wurden in Bewegung gesetzt, die endlich fruchtbar ineinander griffen. Die FachschaftsvertreterInnenkonferenz (FSVK), der AStA und die (Senats-)Liste der Fachschaften arbeiteten vorbildlich zusammen. „Es kam auch sehr viel von Studierenden, die sonst nicht in Gremien oder Fachschaftsräten engagiert sind“, erzählt Sina Wunderlich, FSVK-Sprecherin. Daran sähe man, wie wichtig den Studis das Thema ist.
Vor einigen Monaten wurde eine erste Frucht dieser Zusammenarbeit von der studentischen Senatsfraktion in den Senat eingebracht. Auch dabei wieder vorbildlich: die Vernetzung. Die Recherchearbeit habe vor allem Jan Cassel erledigt, sagt Moritz Fastabend, Tim Köhlers Nachfolger im HoPo-Referat, so dass er selbst sich um „Koordinaation und Feintuning“ kümmerte.
„Natürlich sind die Senatsfraktionen nicht immer einer Meinung, aber die Zusammenarbeit mit dem Senat und der UKL (Universitätskommmission für Lehre – Anm. d. Red.) ist in der Regel gut“, sagt Sina Wunderlich – dieses Mal aber war man sich einig. Und so gab die UKL viel hilfreiches Feedback für eine weitere Version. Diese musste kurzfristig in einer mehrstündigen Sitzung ausformuliert und in die Senatssitzung am vergangenen Donnerstag eingebracht werden– mit Erfolg! Mit 14 Ja-Stimmen, vier Nein-Stimmen und drei Enthaltungen unterstützt der Senat der RUB die Resolution des AStAs.
Unterstützt wird die Resolution außerdem von der FSVK, der studentischen Senatsfraktion, den ASten der Unis Köln und Paderborn sowie der Hochschule für Musik Detmold und der Vertretung der SchulmusikerInnen Letzterer.
„Jetzt ist es Aufgabe des AStA, für Vernetzung zu sorgen“, sagt Wunderlich. Damit hat es bereits gut geklappt. Zeitungen haben im Vorfeld über die Latinumsdebatte an der RUB berichtet. „Die Resolution war medial gut platziert“, sagt der jetzige AStA-Vorsitzende Tim Köhler, „und der Medienkontakt besteht weiterhin.“ Auch auf dem Landes-ASten-Treffen am Mittwoch, dem 17. April, wird das Thema zur Sprache kommen.
Alle weiteren Schritte und Möglichkeiten werden auf der öffentlichen Podiumsdiskussion am Freitag um 12.30 Uhr im HGB 40 besprochen. Alle Studierenden sind eingeladen, sich zu informieren und an der Diskussion teilzunehmen. Anwesend werden u.a. sein: Die hochschulpolitischen SprecherInnen der Regierungsparteien, VertreterInnen der Opposition (auch der studentischen Opposition – der FSR Klassische Philologie hat mit beachtenswertem Engagement viel Rückgrat bewiesen und ein Sondervotum zur Beibehaltung der Latinumspflicht beim Senat eingereicht), Prof. Dr. Glei vom Seminar für Klassische Philologie sowie eine Vertreterin der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft.