Die Erinnerungen an die Silvesternacht des Vorjahres hinter-ließen einen bitteren Beigeschmack. In ihrer Pressemitteilung vom 2. Januar 2016 trifft die Polizei Köln erstmals eine phänotypische Einordnung: „nordafrikanisch Aussehende“ wurden im Bericht erwähnt. Die Diskussion um die Kölner Silvesternacht verlor bald jeglichen sachlichen Bezug und avancierte zum Inbegriff für Instrumentalisierung: Frauen im Islam, Flüchtlingskrise, Lügenpresse.
In Vorbereitung auf die Silvesternacht 2016/17 waren etwa 1.500 PolizeibeamtInnen von Land und Bund vor dem Kölner Dom und im Hauptbahnhof für den reibungslosen Jahreswechsel zuständig. Die Polizei NRW kesselte mutmaßlich Verdächtige ein und twittert: „Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft. Infos folgen.“ – und ist damit Auslöser einer erneuten gesellschaftlichen Debatte, die auf der politischen Bühne geführt wird. Simone Peter (Bündnis 90/Die Grünen), Christopher Lauer (SPD) oder Özlem Demirel (Die Linke) reagieren schnell auf den vermeintlichen Tweet, indem sie sehr kritisierende Stellungen beziehen. Stellvertretend rudert Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) in direkter Folge zurück, distanziert sich von den kritischen Aussagen Peters und lobt den Polizeieinsatz in Köln.
Racial Profiling oder harmlose Kürzel?
An dieser Stelle müssen die Geschehnisse differenziert werden, um nicht in einer polemischen 1312-Haltung zu versacken. In Anbetracht der sexistischen und gewalttätigen Übergriffe im vergangenen Jahr musste die Polizei präventive Maßnahmen ergreifen. Die Umsetzung dieser Prävention war erfolgreich, die Methoden zweifelhaft. Indem Menschen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sortiert (!) wurden, hat die Polizei „Racial Profiling“ praktiziert. Sosehr Polizeichef Jürgen Mathies den aufopferungsvollen Einsatz der BeamtInnen lobpreist – auf struktureller Ebene hat die Durchführung rassistische Tendenzen. Ethnische Merkmale bildeten die Entscheidungsgrundlage und die Hautfarbe war ausreichender Grund, um in den Pulk verdächtiger Menschen zu geraten.
Gravierender als beim Fußball
Bevor bedingungslose BefürworterInnen die Parallele zu Polizeikontrollen bei Fußballspielen ziehen: Es ist ein Unterschied, ob man sich ein Trikot überzieht und dann grundlos von der Polizei kontrolliert oder geboren, pauschal mit anderen Menschen zusammengepfercht und als einer von „mehrere[n] Hundert Nafris“ identifiziert wird. Die Bezeichnung „Nafri“ ist menschenverachtend. Punkt. Und es ist Kennzeichen einer fragwürdigen Doppelmoral, wenn sich der Polizeichef für die öffentliche Verbreitung dieses Begriffs entschuldigt, aber gleichzeitig verkündet, dass die interne Verwendung seit Jahren gängig sei. Sprache konstruiert Denken und wenn Polizeiarbeit auf Kürzel dieser Art angewiesen ist, dann sollten sie – und dasselbe gilt für die „Schleierfahndung“ – dezentral und unabhängig von ethnischen Zugehörigkeiten sein.
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