Bild: Wir und die Anderen? Laut Dr. Pradeep Chakkarath geht die Sozialpsychologie davon aus, dass Menschen zur Identitätsbildung Andere braucht. , Themenwoche: Zur Identitätsbildung durch Andere Foto: lor

Psychologie. Brauchen wir Feindschaften? Falls ja: Wofür? Dr. Pradeep Chakkarath beantwortete die Fragen im Rahmen seines Vortrages vergangenen Donnerstag im Haus der Geschichte mit einiger Skepsis.

Feindschaften sind so alt wie die Menschheit und in Realität und Fiktion omnipräsent: Was wären Jon Snow, Gandalf und die Elben und Harry Potter ohne die White Walkers, Sauron, Lord Voldemort? Leider kommen Feindbilder dank des Rechtsrucks auch politisch wieder in Mode: Die Rede ist wieder von „Volkskörpern“, die von „Volksfeinden“ angegriffen werden, wie Körper von Fremdkörpern. 

Im Rahmen der Themenwoche „Wir und die? Vom Blick auf die anderen“ (3. bis zum 11. Juni) wurde anhand verschiedener Medien – von Film über Theater bis zum Vortrag – die Dichotomie von einem „Wir“ und davon abgegrenzten „Anderen“ betrachtet. Initiatoren sind das Schauspielhaus Bochum, die Stiftung der Geschichte des Ruhrgebiets und das endstation.kino. 

Der Sozialpsychologe Dr. Pradeep Chakkarath, Co-Direktor des Hans Kilian und Lotte Köhler-Centrums an der RUB, hielt im Rahmen der Themenwoche im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets seinen Vortrag: „Warum wir meinen, Feinde zu brauchen“. 

Emotionale Komponente

Ausgang ist die Definition des Begriffs: „Der Feind ist etwas, was ich als existentielle Bedrohung empfinde, etwas, das mich als das, was ich sein will,  gefährdet.“ Die emotional negativere Konnotation hebt Feindschaft über eine bloße GegnerInnenschaft hinaus. Feindschaftskonstruktion ist Teil der Identitätsbildung des Individuums: Die Gesellschaft definiert mit, welche Komponenten dafür wichtig sind. Was als fremd oder gar feindlich gilt, kann sich von Kultur zu Kultur unterscheiden. 

Den Nutzen, den Feindbilder für Menschen haben, versuchen sozialpsychologische Theorien zu klären. So werde anhand der Ferienlager-Studien des türkisch-amerikanischen Wissenschaftlers Muzzafer Şerif aus den 1950er Jahren menschliches Gruppen- und Ablehnungsverhalten deutlich: Die beobachteten Jugendlichen entwickelten zur Abgrenzung von anderen Jugendgruppen abwertende Vorurteile und definierten so gleichzeitig ihre eigene Gruppe positiv. Die Selbstverherrlichung der einen und die Abwertung der anderen führte schließlich zu aggressivem Verhalten zwischen den Gruppen. Laut Şerif könne das Konflikt- und Aggressionspotential aber durch „Vorgabe nur gemeinsam erreichbarer Zielen“ abgebaut werden. Studien der Psychologen Tajfel und Turner aus den 1970ern zeigen gar: Der Mensch braucht für die Konstruktion der eigenen Identität nicht einmal eine real existierende Gruppe. Er muss nur glauben, einer Gruppe anzugehören, um sie positiver zu bewerten als andere.

Gandhis Sicht als Alternative 

Für Chakkarath gibt es allerdings alternative  Identitätsangebote – oft in religiös unterlegten Theorien – wie sie etwa in der Sicht Mahatma Gandhis deutlich werden: Im Anderen nicht den Feind, sondern ein Spiegelbild des eigenen fehlbaren Ich zu sehen. Mit Martin Buber gesprochen: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Gandhis gewaltfreier Kampf gegen die britischen Kolonialherren sei ein empirischer Beleg, dass das sogar unter schwierigen Umständen gelingen kann. Die vielen Fragen vonseiten der ZuhörerInnen zeigten: Dieses Thema beschäftigt. Die IntiatorInnen der Themenwochen habe den Nerv der Zeit getroffen. 

:Andrea Lorenz

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