Als im Juli 2002 der junge Marinus Schöberl von drei Neonazis zu Tode geprügelt wurde, schwieg das Dorf Potzlow ganze vier Monate – und auch die Eltern der Angeklagten schützten „selbstverständlich“ die unfassbaren Missetaten ihrer Kinder. Im Studio 108 inszenierte Regisseur Johannes Thorbecke das Stück „Der Kick“ von Andreas Veiel neu und schlüpfte dabei in mehrere Rollen. Eine blieb jedoch unbesetzt – die des Opfers.
Es beginnt mit einem Audio-Intro von Edgar Allan Poes Erzählung „Das verräterische Herz“. „Schurken! Verstellt euch nicht länger!“, sagt die Stimme auf dem Audioband und meint in diesem Fall das brandenburgische Dorf Potzlow, das im Juli 2002 bundesweit in die Schlagzahlen geriet. In der Tat hatte es sich „ver“-stellt und vor allem nicht „ge“-stellt für vier Monate. Erst im November 2002 wurden die drei Täter von der Polizei festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Johannes Thorbecke, sowohl Regisseur als auch Schauspieler, schlüpft in gleich mehrere Rollen, ebenso wie Alina Stöteknuel, die unter anderem den Hauptangeklagten Marco Schönfeld spielt. Die Bühne: Ein weißes Sofa, das sinnbildlich für die „unschuldige“ Dorfgemeinschaft steht, die geschwiegen hat in einem brutalen Mordfall. Darüber sitzt Carla Camps Santasusana auf einem Podest und verkörpert die Staatsanwältin, den Pfarrer, Gutachter und die Presse – die objektive Konstante und das schlechte Gewissen Potzlows.
„Im Potzlow ist er doch aufgehoben!“
„Marcel wollte uns damit nicht belasten, und Marco haben wir ja vorher schon verloren“, sagte Jutta Schönfeld, die Mutter des Bruderpaars, und weist die Schuld der Tat von ihren Kindern. „Die Eltern von Marinus haben sich ja nicht um ihn gekümmert, deshalb hat er geklaut und Marinus war eben zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Punkt. Fassungslosigkeit bei den ZuschauerInnen im Studio 108, die sich in diesem Moment auch dachten, am falschen Ort zu sein. Schonungslos liefern die ProtagonistInnen nackte Fakten aus den stattgefundenen Polizeiverhören und 24 Verhandlungstagen vor Gericht und es bedarf keines Nachspielens des „Bordstein-Kicks“, mit dem das Opfer Marinus Schöberl durch Marco Schönfeld getötet wurde. Die vorgetragenen Gerichtsprotokolle sind ausreichend genug, um die Brutalität der Tat zu verdeutlichen und die gleichzeitige schützende Hand des Dorfes auf die Mörder aufzuzeigen.
Die Schuldfrage bleibt ungeklärt
„Wir haben ihn zu Gewaltlosigkeit erzogen“, sagt die Mutter der Angeklagten und ist sich keiner Schuld bewusst. Auch weitere MitwisserInnen des Dorfes wiesen die Schuldfrage von sich, so ist es am Ende einzig der Pfarrer, der das Dorf an den Pranger stellt. „Ihr habt es alle gewusst und nichts unternommen!“ Punkt. Das bekannte Audioband appelliert noch einmal an das Dorf: „Schurken! Verstellt euch nicht länger“. Und das Opfer? Wurde in all den Jahren scheinbar vergessen. Deswegen ist diese Aufführung Marinus Schöberl gewidmet.
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