Ogyen Trinley Dorje kritisiert die Konsumkultur, ist offen für Feminismus und inspiriert zu sozialem Engagement. Der 29jährige Tibeter in der roten Mönchsrobe stellt als Karmapa einen der allerhöchsten Vertreter des tibetischen Buddhismus dar – und gilt als möglicher Nachfolger des Dalai Lama. Nach seinem im Mai und Juni erfolgten ersten Besuch in Deutschland und Europa ist sein lesenswertes Buch „Das edle Herz“ nun auf Deutsch erschienen.
Seinen AnhängerInnen gilt Ogyen Trinley Dorje als der 17. Karmapa – als wiedergeborenes Oberhaupt der Karma-Kagyü-Schule, welche die wichtigste Strömung der Kagyü-Schule bildet, die wiederum eine der vier großen Schulen des tibetischen Buddhismus ist. Andere Karma-Kagyü-AnhängerInnen sehen stattdessen seinen Konkurrenten Thaye Dorje als den 17. Karmapa an. Wie dem auch sei: Ogyen Trinley Dorje ist als vom Dalai Lama unterstützter Karmapa ein auch für den Westen bedeutender buddhistischer Würdenträger, der in Zukunft sogar zu dem wichtigsten solchen überhaupt werden könnte.
Basierend auf Gesprächen mit US-amerikanischen Studierenden entstand das vorliegende Werk, in welchem der Karmapa Buddhismus und Gesellschaftskritik zeitgemäß im humanistischen Geist verbindet. Die Grundlagen sind klar buddhistisch: Jedes Wesen will frei von Leid leben und wirkliches Glück erfahren – erfährt durch negative Gefühle und Orientierungen wie Gier, Wut und Egoismus jedoch Leid und fügt dies, von ihnen geleitet, auch selbst anderen zu. Dieses Leiden und seine Ursachen gilt es, zu überwinden. Der Karmapa sieht zudem als essenziell an, dass alle Menschen in Wahrheit ein „edles Herz“ haben, welches eine Quelle des Mitgefühls und der Liebe darstellt.
Während die heutige Konsumkultur und „Marktgesellschaft“ massiv Gier und Egoismus fördert und viele soziale wie ökologische Probleme verursacht, liegt in der bewussten Orientierung am eigenen edlen Herzen für den Karmapa der Schlüssel zur Heilung – auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene. Das ausdauernde Engagement für nötige soziale Veränderungen soll sich aus dem empathischen Wohlwollen speisen, das man allen Wesen entgegenbringt, sowie aus dem reflektierten Wissen um die Verbundenheit aller Menschen, welche sich auch in den ökonomischen Prozessen zeigt.
Humanismus und Feminismus
Ogyen Trinley Dorje ähnelt in der Analyse der gesellschaftlichen Entfremdung und in seiner Orientierung auf die Nächstenliebe stark dem humanistischen Philosophen Erich Fromm. In seinem Verständnis von Buddhismus stellt er das Mitgefühl und die Liebe für alle Wesen sowie die Gleichheit und Verbundenheit aller Menschen besonders in den Vordergrund – was viele Leute leichtfertig als ‚hippiemäßig‘ oder ‚gutmenschlich‘ abtun dürften. Dabei regt dieses Buch die dafür offenen Lesenden zu wichtigen Reflexionen an.
Zu den weiteren inhaltlichen Besonderheiten zählt neben einem sympathischen Plädoyer für den Vegetarismus auch das Kapitel „Geschlechteridentitäten“. In jenem kritisiert der Karmapa gesellschaftliche Geschlechterstereotype und vertritt Positionen des Gender-Konzepts und des Feminismus. Auch diesbezüglich könnten sich die meisten religiösen WürdenträgerInnen ein Vorbild an ihm nehmen.
:Gastautor Patrick Henkelmann
Ogyen Trinley Dorje:
„Das edle Herz. Die Welt von innen verändern“
edition steinrich
264 Seiten, 19,90 Euro
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