50 Jahre Pride Month Juni und Christopher-Street-Day (CSD), 50 Jahre erinnern an die Stonewall-Aufstände.
Jedes Jahr im Juni gedenkt die LGBTQ*-Community der Stonewall Aufstände Homo- und Transsexueller im New York des Jahres 1969. Als erstes Aufbegehren gegen Polizeigewalt und Anstoß der Schwulen- und Lesbenbewegung ist das Ereignis Teil des Vermächtnisses der Community. Im Vortrag „50 Jahre Stonewall – Das Ende der Diskriminierung“ erläutert Muriel Aichberger die historischen Hintergründe, Rezeption und Mystifizierung. Verstehen wir den CSD falsch?
Angesichts anhaltender Anfeindungen bauen viele queere Menschen eine politische Identität auf, sagt Muriel Aichberger, Sozialwissenschaftler und Coach für Diversity, Inclusion und Equality. Er fragt sich, auf welchen Mythen und Geschichten seine schwule Identität und die LGBTQ*-Bewegung gründen. Es sei wichtig, Konventionen und Erzählungen zu hinterfragen: „Im Zeitalter des Postfaktischen müssen wir besonders als angehende Wissenschaftler*innen den Anspruch haben Informationen mit Quellen zu hinterlegen“.
Ein fälschlicher „Mythos Stonewall“ spiegle sich im Film Stonewall (2015): dort steht ein weißer, schwuler cis-Mann an der Spitze der Bewegung und wirft den ersten Stein. Das sei „definitiv falsch“, meint Aichberger. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Nordamerika erste Vereinigungen gegründet, die sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzten. Ihre Mitglieder*innen waren vorrangig weiß, bürgerlich, schwul oder lesbisch und betonten „Normalität“. Das „Stonewall-Inn“ hingegen war eine polizeilich beobachtete Bar in Greenwich, New York in der Christopher Street und ein Treffpunkt für Schwule, Lesben und Transsexuelle verschiedener Ethnien aus den unteren sozialen Schichten. Viele von ihnen lebten auf der Straße oder arbeiteten als Sex Worker*innen. Als in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 eine von vielen gewalttätigen Razzien im Stonewall-Inn durchgeführt wurde, leisteten die Gäste erstmals Widerstand. Zwei der aktivsten Protagonistinnen der mehrtägigen Aufstände seien laut Aichberger die Drag Queens Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson gewesen. Letztere war eine Person of Color (POC); beide schon einmal obdachlos gewesen; hatten Sexarbeit verrichtet oder Zeit im Gefängnis verbracht. „Niemand von uns hätte mit den Protagonist*innen von damals nur ein Wort gesprochen“, behauptet Aichberger. Während die Stonewall-Aufstände die Schwulen- und Lesbenbewegung anstießen und das Ereignis zur „CSD“- Traditionsbildung angeeignet wurde, seien viele von ihnen vergessen worden. Innerhalb großer Teile der Community standen „Gays“ weiter im Vordergrund. Transsexuelle und andere marginalisierte Gruppen wurden aus Vereinigungen wie der Gay Activists Alliance (GAA) ausgeschlossen. In der Geisteshaltung von „terf“s (trans-exclusionary radical feminist) zeigt sich noch heute Transphobie in der Community.
Politische Partizipation und Rebellion sind noch notwendig. Erst am 3. Juni wurde Chynal Lindsey (26) im US-Bundesstaat Dallas ermordet. Sie ist eine von mindestens acht schwarzen Transfrauen, die dieses Jahr in den USA gewaltsam ihr Leben verloren haben. Die Schauspielerin und Trans-Frau Laverne Cox schreibt dazu auf Instagram: „Both things are true“: LGBTQ* seien heute sichtbarer, dadurch aber auch angreifbarer. Eine Gefahr für Minderheiten, die sozial aufsteigen. Muriel Aichbergers Vortrag betont die Wichtigkeit auch gegen diskriminierende Strukturen innerhalb der LGBTQ*-Community vorzugehen: Für mehr Intersektionalität und weniger Geschichtsrevisionismus. Damit aus Stonewall, einer anschlussfähigen Identifikationsgeschichte kein white-washed Mythos wird.
:Marlen Farina
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