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Es ging vor Kurzem wieder los – das präsente Lernen an der Ruhr-Universität, unserer unansehnlich in Beton gehüllten, vielfältigen und großen Alma Mater. Die vorlesungsfreie Zeit am hinteren Ende des WiSe ward durch die ersten Veranstaltungen des SoSe abgelöst. Einem größeren Teil der Studierenden war die entspannte Zeit nach den letzten Hausarbeiten auch diesmal wieder zu kurz (und teils zu kalt) erschienen. Jedenfalls weicht die Kälte jetzt endgültig der Wärme und die räumliche Leere auf dem Campus weicht erneut dem Betrieb der Lehre. Erstis freuen sich auf das Abenteuer ihres Studiums und den Einstieg ins Studi-Leben. Beruflich eingespannte Langzeitstudierende blicken dagegen zielgerichtet den von ihnen noch benötigten Scheinen entgegen, für den Abschluss des Studi-Lebens. Eine höchst heterogene Masse wuselt durch das betonierte Areal, in dem positive Weichen für die Zukunft gestellt werden sollen.

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Es heißt Breslau, nicht Wrocław! Die Stadt liegt auch in Niederschlesien und nicht in Dolny Śląsk. Das hat natürlich nichts mit germanisch-imperialen Restaurationsbestrebungen zu tun – das schreibe ich nur, weil die polnischen Namen ja niemand aussprechen kann. Ich habe ja nichts gegen Polen, aber was sind die paar Jährchen polnischen Besitzes gegen die 600 Jahre deutscher Stadtgeschichte (ja, die böhmische und die österreichische Herrschaft zählen da auch)? Da wird man doch noch Breslau sagen dürfen.
Mit dem Hansa-Bier in der Hand (extra aus der deutschen Heimat mitgebracht) stromer ich durch die Altstadt und über die Werder der Oder. Fast alles, was hier schön ist, wurde in deutscher Zeit erbaut. Ist klar, das meiste wurde in den letzten zwanzig Jahren gründlich restauriert, ganz prächtig. Bestimmt nur mit deutscher Hilfe.

Zwei Männer in Uniform kommen auf mich zu und wollen irgendwas von mir. „Ich kann kein Polnisch“, sage ich mit einem süffisanten Lächeln. „Alkohol ist in der Öffentlichkeit in Polen nicht erlaubt“, erklärt daraufhin einer der Polizisten in flüssigem Deutsch.
Das verwundert mich jetzt aber. Also, dass man im Land der Wodkasäufer auf der Straße nicht trinken darf, und dass hier einer Deutsch kann. Ich darf noch fix die letzten zwei Schlucke austrinken, dann wünschen mir die Männer noch einen schönen Aufenthalt in Breslau. Das waren ja nette Polizisten. Aber sind sicher nicht alle so. Man hört ja viel über die osteuropäische Staatsgewalt. In Russland, da verkloppen die dich direkt, ohne Grund und so.

Also in eine Kneipe gesetzt. Nicht schlecht, was für eine Bierauswahl! Ich dachte, die trinken hier nur selbstgebrannten Schnaps. Sogar Altbier haben die hier. „Meisterhaft Geschmack“ steht auf dem Etikett. Was für Trottel. Aber hey, das ist ja richtig gut! Da muss man die anderen Biere auch probieren. Einige Biere später bin ich um einen angenehm geringen Geldbetrag ärmer, dafür aber um ein paar Freunde reicher. Ham mich einfach zu sich an‘n Tisch geholt und dann hamwer gans lang geplaudert und au gelacht. Auf Englisch. Nette Jungs und Mädels, die studiern auch so interessantes Zeuch, Europastudien, internationales Recht und Kommunikationsdesign und so. Keine Ahnung, was das is, so gut is mein Englisch nich. Trotzdem Spaß gehabt.

Fragen mich irgndwann, warum ich immer Breslau sach und nich Wrocław und ich sach: „Weil dat so heißt! Is ja Deutsch!“ Da sagn die: „Dann sagn wir auch Drezno statt Dresden und sogar eure Hauptstadt Berlin“ – dabei sagen sie eher Bärrlin – „ist slawisch!“ Ich glaubs nich, da zeign se auf ihren Smartfons das Internet. Da stehts: Berlin heißt „Ort im Sumpf“. Oha. Draufhin trinkn se mich untern Tisch und bringn mich in mein Hostel.

Am nächsten Tag sind mein Verstand und meine Sprache wieder klarer. Ich stromer wieder durch die Stadt. Irgendwie ist dieses Durcheinander der Kulturen ja ganz stark. Die Buchhandlungen haben Bücher auf Deutsch, Polnisch und Englisch. In österreichischen Gebäuden gibt’s leckere schlesische Wurst zu kaufen und in den kommunistischen Klötzen wird englische Kunst ausgestellt.

Die haben ja durchaus was aus dieser Stadt gemacht. Sollen sie sie behalten, lassen wir die Geschichte Geschichte sein und alle sind zufrieden mit dem, was sie haben, und haben Spaß mit ihren Nachbarn. Aber umbenennen sollten sie die Stadt in Wroc-wow! Such city! Very visit! Much interesting! Einen Shiba Inu hab ich tatsächlich hier schon gesehen.
 

(Fabian May) Was haben Bahnhöfe und Essensmüll-Vermeidung miteinander zu tun? Zunächst einmal gar nichts, außer dass beide interessante Anlässe zu sozialen Beobachtungen bieten. Für mich sind sie durch zwei Erlebnisse miteinander verknüpft.
Das erste dreht sich um Foodsharing. Konkret: um eine junge Dame am Hauptbahnhof und eine Handvoll Kartoffeln. Sie wollte meine Kartoffeln, aber, weil sie auch eilig irgendwohin wollte, nicht aussteigen. So warf ich das Netz, sozusagen während sie vorbeifuhr, in die geöffnete S-Bahn-Tür.

Vor dem Hintergrund der persönlichen Zeitökonomie ist es verständlich, dass man Kontakte, die vor allem der Warenübergabe dienen, aufs Wesentliche beschränkt. Und Bahnhöfe sind schon immer Hauptschauplätze solcher Begegnungen gewesen.
Doch habe ich tatsächlich manchmal zu viel Zeit und ein wenig Langeweile. Und aus einer solchen langen Weile heraus hatte ich mich auf Foodsharing angemeldet, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen, was das für Leute sind. Ich hatte meinen Eindruck, und mit Foodsharing war erst mal Schluss. Es gibt andere gute Seiten, und der Franzose sagt: Il faut passer à autre chose.

Das zweite Erlebnis fand wieder im Spannungsfeld von Bahnhof und Essensmüll-Vermeidung statt. Nur war ich diesmal der dankbare Empfänger des Essensmülls. Ich stand an der Vitrine eines Snackladens an, um mir meine morgendliche Dosis „Franzosentum“ zu beschaffen.

Mein bisschen „Franzosentum“ ist hier aus zweierlei Gründen maßgeblich: Erstens sollte mein Regionalexpress in drei Minuten kommen, aber das sollte mich nicht abhalten, mir mit aller „unpreußischen“ Gelassenheit einen Kaffee zu kaufen. Zweitens sollte sich gleich eine Gelegenheit ergeben, sich (wie ein Cliché-Franzose) von einem unvorhergesehenen Ereignis nicht dazu verleiten lassen, den Kopf zu verlieren.

Vor mir wurde eine Frau bedient. Sie fiel mir nicht weiter auf, bis sie versuchte, den Deckel auf ihren Teebecher zu klemmen. Es misslang, der Inhalt verteilte sich über Hand, Vitrine und die darin befindlichen Brötchen.

Dreierlei Betroffene: die Hand, die Vitrine und die Brötchen. Drei Akteure hinter der Theke. Was passierte nun: Einer befasste sich damit, das Wasser aufzuwischen und den Schaden zu begrenzen. Eine andere klagte, die Sauerei sei über die ganze Theke verteilt. Die Dritte nahm drei Käsebrötchen auf einmal und warf sie in den Müll. Als nächstes nahm sie ein Schinkenbaguette, um es seinem Schicksal zuzuführen.

Hier trat ich auf den Plan: „Wie bitte, dat können Sie doch verschenken“, sagte ich. Ich machte mich auf eine Belehrung über Firmenpolitik und kapitalistische Logik bereit. Doch die Angestellte argumentierte auf der Sach­ebene: „Die sind doch völlig durchgeweicht. Ich glaube nicht, dass die noch jemand nehmen will.“ Da sagte ich: „Für geschenkt würd ich’s nehmen.“ Da gab sie mir einfach das Brötchen, „hier, bitte“, und eine Serviette noch dazu.

Ich mag keinen billigen Kochschinken. Aber darum geht es hier nicht. Denn so ergab es sich, dass ich an diesem Tag ein Schinkenbrötchen für 2,20 Euro rettete. Überrascht bedankte ich mich. Die Frau neben mir hielt den fast leeren Becher über die Theke und bat um neuen Tee. Ich glaube, die verbrühte Hand schmerzte ihr. Doch man kann nicht immer allen helfen. Mit dem geretteten Brötchen ging ich von dannen und kriegte meinen Zug.

Wie gesagt: Eigentlich mag ich keinen billigen Schinken, und von unhaltbaren Zuständen in der Massentierhaltung will ich gar nicht anfangen. Doch während ich das Brötchen hinunterwolfte und mein Zug-Gegenüber mir pikiert dabei zusah, musste ich mir und dem Brötchen eingestehen: Diesmal schmeckt es.

Sotschi ist vorbei und die Verantwortlichen der deutschen Mannschaft wie auch der Medien sind irgendwie enttäuscht. Gut, Platz sechs in der Gesamtwertung ist ein schlechteres Abschneiden als 2010 in Vancouver, der aber auch irgendwie nicht gut genug war. Die nun zur Schau getragene Enttäuschung ist allerdings hausgemacht, hat man doch wieder einmal aus der Luft gegriffene Medaillenziele ausgegeben, um dem eigenen Geltungsbedürfnis Ausdruck zu verleihen. Gute Einzelleistungen, ob nun mit Podest oder Top-Ten-Platz honoriert, treten hinter einem Statistikfetischismus zurück, der seinesgleichen sucht.

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Es gibt so Begriffe, die gehen einfach nicht mit der Konjunktur: Kritik, Mündigkeit oder Opposition sind solche Wörter. Da kommt dem Neoliberalen der Brechreiz. Gut, dass jetzt mit dem AfE-Turm in Frankfurt ein regelrechtes Reservoir eines solchen kritischen Geistes weggesprengt wurde. In dem 1972 gebauten Hochhaus der Goethe-Uni strebten die meisten StudentInnen das Lehramt an; Geistes- und Erziehungswissenschaften wurden hier studiert (oder gelebt).

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Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaften und ihre Finanzierung durch Rundfunkbeiträge blicken auf eine lange Tradition zurück. Ein altes Regime, sozusagen. 1923 nahm die Funk-Stunde Berlin als erster Hörfunksender in Deutschland den Betrieb auf. Die 1924 festgelegte Jahresgebühr von 60 Mark entsprach etwa einem Drittel eines durchschnittlichen Monatseinkommens. Das Telegraphengesetz sah nicht nur Geldstrafen, sondern im schlimmsten Fall auch eine Gefängnisstrafe von bis zu sechs Monaten für Schwarzhören vor. Schöne alte Welt. Doch die gute alte Zeit der absoluten Macht währte nicht lang genug. Die Privatsender und mit ihnen die unerträgliche Seichtigkeit des Scheins flimmerten über die bundesdeutschen Matschscheiben.

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Der Freistaat Thüringen ist zwar das Land ohne Prominente, dafür aber mit den vielen schönen Ecken. Wartburg und Weimar wollen besucht werden und das Kyffhäuser-Denkmal zieht auch Leute in seinen Bann, die nichts mit Drogen zu tun haben. Erfurt hat eine malerische Altstadt, zwei dicke Kirchen direkt nebeneinander, eine Festung und all das, was Menschen sagen lässt: „Erfurt, jaja, das ist eine schöne Stadt.“ Als Hoffnung des Landes und geistige Elite in Ausbildung sind es natürlich vor allem die Studierenden, die an Kunst und Geschichte, Natur und Kultur des Landes interessiert sind. In Thüringen wie in NRW sind die Bahnen vollgestopft mit wissbegierigen und tatendurstigen AkademikerInnen, die ihr Semesterticket in vollen Zügen genießen und von einer Burgruine zum nächsten Naturpark pilgern.

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Es war keine gewöhnliche Nacht in Querenburg. Im Wald hinterm BioMedizinPark spielte sich ein seltenes Ereignis ab, ermöglicht durch das Zusammenfallen von StuPa-Wahlen und Vollmond. In der Klause mit den grünen Läden brannte Licht und über der Tür prangte um Schlag Mitternacht der Schriftzug „Zur zerbrochenen Urne“. Aus Dutzenden Gräbern, in denen man jahrzehntelang Wahlurnen samt Stimmzettel verbuddelt hatte, erhoben sich die Geister der vergessenen Listen und strebten ihrer Stammkneipe zu.

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Drauß’ vom Walde, da kam er her, der bärtige Mann mit seinem Buch, in dem geschrieben stand, welche Kinder artig und lieb waren. Er beschenkte sie reichlich, doch wohl nicht mit den richtigen Gaben. So meinte Martin, der auch auf Luther hörte, ein Christkind müsse her. Die engelsgleiche Gestalt sollte mit seiner Kraft, der Unsichtbarkeit, die Wünsche der braven Kinder erfahren. Doch das Christkind war nicht lange an der Spitze, denn die amerikanischen Hegemonialinteressen sorgten rasch für klare Verhältnisse. Ein Limonadenkonzern förderte aus der Retorte einen stämmigen Mann mit einer Vorliebe für rote Kleidung (und Limonade). Dieser sollte nun die Wünsche der Menschen erfüllen. Dabei hörte er auch die Gedanken der Erwachsenen, nicht nur die der Kinder.

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