Das zwischen EU und USA verhandelte Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) ist als Dauerthema in den Medien. Es geht um Lebensmittelsicherheit, Tierschutz, Umweltschutz und Arbeitsplätze in einem Markt, der 800 Millionen VerbraucherInnen in Europa und Nordamerika umfasst. Ständig kommen neue Details der geheimen Verhandlungen an die Öffentlichkeit, wie zum Beispiel die geplante Privatisierung des Gesundheitswesens. Im Januar brachten die möglichen Auswirkungen von TTIP auf den Agrarmarkt in Berlin 50.000 DemonstrantInnen auf die Straße. Doch nicht nur TTIP sondern auch das von der EU mit Kanada verhandelte CETA-Abkommen birgt Gefahren.
Der Begriff „Freihandelsabkommen“ ist irreführend, da der Handel über den großen Teich längst weitestgehend frei ist und sich die Zölle auf einem extrem niedrigen Niveau befinden (Medianzoll: EU 3,5%, USA 2,5%). Beide Verhandlungsseiten betonten, dass es bei TTIP – der Transatlantic Trade and Investment Partnership – vor allem um die Herabsetzung von Hindernissen für Investoren gehe. Diese ‚Hindernisse‘ sind vielfältig: TTIP zielt unter anderem darauf ab, Verbraucherschutzstandards, Auflagen im Lebensmittelbereich und Datenschutzbestimmungen zu beseitigen sowie Privatisierungen in verschiedenen Branchen (wie der Wasserversorgung) herbeizuführen.
Gleichzeitig werden Forderungen des 2012 vom EU-Parlament abgelehnten ACTA-Abkommens neu aufgelegt. Sei es nun, dass mit Chlor behandeltes Fleisch nach Europa exportiert werden darf, oder welche (giftigen) Zusatzstoffe Schminke enthalten darf. Die Frage lautet erneut: Gelten die Standards der europäischen Länder oder diejenigen der USA?
Fluch oder Segen?
Die EU-Kommission und die US-Regierung verkünden, dass sich durch TTIP ein bemerkbares Wirtschaftswachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze realisieren lasse. In Deutschland betrifft das vor allem die Auto- und die Chemieindustrie, deren starkes Nordamerika-Geschäft sie auf weitere Zuwächse und Gewinne hoffen lässt. Auf der anderen Seite stehen zahlreiche Agrar-, Gewerkschafts- und Verbraucherschutzverbände sowie Oppositionsparteien, die eine genau gegenteilige Argumentation ins Feld führen.
Diese Kritik nährt sich vor allem aus den Folgen des Freihandelsabkommens zwischen Mexiko, Kanada und den USA – dem North American Free Trade Agreement (NAFTA). In Kanada und in den Vereinigten Staaten machte sich durch NAFTA in vielen Branchen ein massiver Arbeitsplatzabbau bemerkbar; vor allem in Form einer Verlagerung nach Mexiko, wegen der niedrigeren Löhne sowie Sozial- und Sicherheitsstandards dort. Die Versprechen gegenüber den amerikanischen Gewerkschaften bezüglich der Arbeitsplatzsicherung haben sich als falsch erwiesen – und NAFTA hat die Position der ohnehin schon schwächer aufgestellten Gewerkschaften in den USA noch weiter geschwächt.
Mehr Schein als Sein
Im öffentlichen Diskurs wird zu wenig angesprochen, dass viele Studien zu den Auswirkungen von TTIP wissenschaftlich nicht haltbar sind. So wurde in einer CEPR-Studie der EU von 2013 etwa ein Zuwachs des EU-Wirtschaftswachstums für 2027 von 0,5% vorausgesagt. Diese Studie wurde inzwischen jedoch von unabhängigen WissenschaftlerInnen widerlegt, mit dem Verweis auf falsche Grundannahmen. Ebenfalls bezeichnend sind verschiedene Ergebnisse aus gleichem Hause: So kommt etwa eine beim ifo-Institut beauftragte Studie der Bertelsmann-Stiftung auf bis zu zwei Millionen neue Arbeitsplätze durch TTIP – der Abschlussbericht des ifo-Instituts von 2013 jedoch nur noch auf 0,5 Millionen neue Arbeitsplätze. Dabei wurden beide Arbeiten vom gleichen Verantwortlichen gezeichnet.
Schiedsgerichte – eine Gefahr für die Demokratie
Neben der Absenkung der europäischen Standards formiert sich der Widerstand vor allem gegen die Einrichtung von privaten Schiedsgerichten, in denen Firmen Staaten verklagen können, wenn ein neu beschlossenes Gesetz ihre Wirtschaftsinteressen betrifft. Seit den 1990er Jahren gibt es international einen explosionsartigen Zuwachs an Schiedsgerichtsverfahren. Problematisch ist dabei insbesondere auch der kleine, zweistellige Personenkreis der international tätigen JuristInnen, die solche Schiedsgerichte besetzen. Denn wer in einem Prozess als Anwalt oder Anwältin den Staat vertritt, kann schon morgen in einem anderen Prozess eine klagende Firma vertreten oder gar als RichterIn fungieren.
Hier stellt sich die Frage, ob man wirklich die Gerichtsbarkeit von 800 Millionen Menschen einem kleinen Personenkreis überlassen möchte, der abwechselnd von allen Seiten finanziert wird. Die EU selbst befragte in verschiedenen Ländern 149.399 Personen, von denen sich 97% kritisch zu den Schiedsgerichten im Zuge von TTIP äußerten.
CETA droht 2016
Solche Schiedsgerichte kommen jedoch nicht nur im Falle des TTIP-Abkommens nach Europa, sondern sind auch Bestandteil des geplanten und bereits verhandelten CETA-Abkommens (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen Kanada und der EU. Das von der Öffentlichkeit wenig beachtete CETA bedarf noch der Zustimmung durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat – wobei strittig ist, ob die Zustimmung der nationalen Parlamente der EU-Staaten ebenfalls notwendig ist. Die EU plant, CETA trotz dieser offenen Frage bis Mitte 2016 zu beschließen. Abgesehen von dem Druck, der dadurch auf die einzelnen Staaten aufgebaut wird, würde dies dem rechtsstaatlichen Prinzip widersprechen. Bedingt durch die enge Verflechtung der US-amerikanischen und kanadischen Wirtschaft – fast jedes größere US-Unternehmen besitzt Niederlassungen in Kanada – könnten auch US-Konzerne dann vor Schiedsgerichten gegen europäische Staaten klagen.
:Gastautoren Adrian Schumacher und Patrick Henkelmann
:bszinfo: Was tun?
TTIP und CETA berühren weit mehr Themen, als sich in einem Artikel darstellen lassen. Die Öffentlichkeit muss diese von Lobbygruppen initiierten Entwicklungen trotz ihrer Komplexität aufmerksam und kritisch verfolgen, wenn man die vergleichsweise hohen Standards in Europa – beispielsweise bei der Lebensmittelerzeugung – erhalten will. JedeR kann sich näher informieren (www.campact.de/ttip/appell/5-minuten-info), Petitionen unterzeichnen und bei Gelegenheit auf Demos gehen. Zudem bleibt als Mittel, ‚seinen‘ EU-Abgeordneten die eigenen Bedenken bei Bedarf mitzuteilen, per E-Mail oder Brief. Wenn PolitikerInnen tagtäglich mit den Anliegen der BürgerInnen konfrontiert werden, sollte man doch davon ausgehen können, dass jene berücksichtigt werden.
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