Bild: Arbeit zwischen den Kulturen mit Spaßfaktor – auch wenn das Kulturzentrum Grend in Essen-Steele zehnmal soviel Fördermittel erhält wie das Katakomben-Theater Essen: Johannes Brackmann (Geschäftführer Grend) und Kazım Çalışkan (Leiter des Katakomben-Theater) bei einer Podiumsdiskussion im Grillo-Theater Essen., Umbruch und Neukoordinierung: Essen, Dortmund und Oberhausen als Vorreiter Foto: Yavuz Arslan

Längst haben die Leuchtturmprojekte der Kulturhauptstadt an Strahlkraft verloren, und die „Interkulturabteilung“ der Ruhr.2010 GmbH tritt als solche nicht mehr in Erscheinung. Die Staffel wurde an den Regionalverband Ruhr (RVR) übergeben, und dieser zeigt bisher kein Profil. Auch das Schauspielhaus Bochum als einstiger kultureller Impulsgeber der Stadt hat sich im Bereich der Interkultur verspekuliert. Während hier auf diesem Gebiet Konzeptlosigkeit vorherrscht, blüht in den Nachbarstädten neues interkulturelles Leben. Die :bsz hat einen der Hauptakteure, Uri Bülbül vom Katakomben-Theater Essen, zu den aktuellen Entwicklungen auf diesem Sektor befragt.

Bereits vor 2010 gab es eine starke Initiative für die Interkulturarbeit, die 2005 im ersten „MELEZ-Festival der Kulturen“ in der Jahrhunderthalle gipfelte und eine große Ausstrahlungskraft für die Region und die hier ansässigen Initiativen und KünstlerInnen hätte haben können. Als regionale „Player“ traten die Alte Feuerwache Duisburg (Dialog e. V.), der Ringlokschuppen Mülheim a. d. Ruhr und das im Katakomben-Theater Essen beheimatete Dervish Kulturmanagement auf. Koordiniert wurde das Ganze vom Kulturministerium des Landes NRW sowie von Jörg Stüdemann (Oberstadtdirektor, Kämmerer und Kulturdezernent Dortmund). Auch das Türkische Generalkonsulat war an der Ausrichtung des Festivals beteiligt, das zum Erfolg wurde und sich als neuer Prototyp des interkulturellen Diskurses hätte etablieren können.

Grenzen überwinden …

„Es ging nicht darum, kulturelle Gefälle auszumachen und einen integrativ-belehrenden Ton einzuschlagen, sondern Menschen, die aus unterschiedlichen Gesellschaften und Schichten kommen, mit Kultur ohne Grenzen vertraut zu machen“, erläutert Uri Bülbül. Dies hätte dazu beitragen können, die Grenzen zwischen Hoch- und Soziokultur, Unterhaltungs- und ernster Kultur sowie zwischen Nationen und Ethnien überwinden zu helfen. „Dabei sollten sich auch die Organisatoren auf Augenhöhe begegnen, was sich aber sofort als problematisch erwies, weil es auch immer um die Verteilung knapper Mittel ging“, so Bülbül weiter. „Das Dervish-Kulturmanagement zum Beispiel wird von Menschen türkischer, alevitischer Herkunft getragen und war damals ein Newcomer auf diesem Feld. Der Ringlokschuppen dagegen wurde von ,alten Hasen’ mit deutschem Hintergrund und besten Kontakten zum Ministerium betrieben. Weniger Erfahrene fühlten sich daher schnell über den Tisch gezogen und übervorteilt.“

… statt Gräben vertiefen

Drastisch illustriert Uri Bülbül insbesondere die Entwicklung nach dem Kulturhauptstadt-Jahr 2010: „Das künstlerische Knowhow, die Kontakte ins Ausland wurden in Anspruch genommen und danach die Türken abserviert. Der Türke hatte seinen Dienst getan, der Türke konnte gehen.“ Insbesondere übt Bülbül Kritik an den inzwischen etablierten Soziokulturellen Zentren wie dem Bahnhof Langendreer: „Sie geben sich nach außen hin liberal und offen, sind aber im harten Verteilungskampf organisationsegoistisch besser aufgestellt, wenig tolerant und nicht bereit, neue Strukturen mit MigrantInnen zuzulassen.“ Dies liege zum Teil an mangelndem oder divergierendem Kulturverständnis. „Nicht alle sind sich zum Beispiel in der Frage einig, ob alle kulturellen Initiativen und Strömungen als gleichrangig betrachtet werden können oder ob es geographisch und ethnisch bedingte Entwicklungsunterschiede in der ‚Qualität der Kulturen‘ gibt. Dieser Hintergrund ist deshalb wichtig, da der Zuspruch der europäischen Kommission für das Ruhrgebiet, die Kulturhauptstadt 2010 auszurichten, nicht zuletzt daran lag, dass das interkulturelle Feld im Ruhrgebiet so hervorgetreten war“, illustriert Bülbül. Aber nach dem Kulturhauptstadt-Jahr ging genau die Interkulturabteilung der Ruhr.2010 GmbH sang- und klanglos unter und die hierfür eingesetzten Mittel gingen in den Folgejahren an die Ruhr-Triennale.

Interkultur ist die Zukunft

Gleichzeitig installierte die Landesregierung selbst gegen den Widerspruch in den eigenen Reihen im Alleingang einiger Ministerieller im Zusammenwirken mit dem Schauspielhaus Bochum eine sogenannte Zukunftsakademie (ZAK), um Fragen der Stadtentwicklung im Zeichen des Bevölkerungswandels zu beackern. „Aber es sind jene Leute, die immer von Inklusion und Divercity sprechen und eigene Pfründe unter Ausschluss von KollegInnen mit ausländischen Wurzeln zu verteidigen versuchen“, gibt Uri Bülbül zu bedenken. Es stehe somit der Vorwurf des strukturellen Rassismus im Raum, da ethnische und kulturelle Herkunft gleichgesetzt würden, obwohl die MigrantInnen der Zukunft bereits mindestens schon in der vierten Generation in Deutschland leben. „Genau um dieses Phänomen drückt sich die ZAK und macht nirgends eine klare anti-ethnizistische Aussage“, so Bülbül.

Essen als Pionier

Dortmund, Oberhausen und Essen entwickeln eigene, aber miteinander sehr gut kompatible Modelle der Interkulturarbeit – in Essen in der Kooperation der Institutionen Schauspiel Essen, Katakomben-Theater, Grend Bildungswerk, Stadtbücherei und Studiobühne Essen. Es läuft wohl auf einen Pakt für kulturelle Bildung hinaus, worin sich die Institutionen vernetzen und gemeinsame Produktionen auf die Beine stellen wollen – dabei immer im Vordergrund die regionale Kompetenz der hier lebenden KünstlerInnen und KulturwissenschaftlerInnen. Dabei stehen die AkteurInnen in engen Absprachen auch mit ihren KollegInnen in anderen Städten – insbesondere mit Dortmund, Gelsenkirchen und Oberhausen. „Christian Tombeil (Intendant Schauspiel Essen, d. Red.) zeigt sich in dieser Vernetzung als eine Kraft der Integration und Offenheit, bei dem sich die Kolleginnen und Kollegen mit ausländischen Wurzeln nicht über den Tisch gezogen oder ausgenutzt vorkommen“, skizziert Uri Bülbül die Essener Vorreiterrolle. Ein Blick über den kommunalen Tellerrand würde sich für Bochum auf dem Gebiet der Interkultur zweifellos lohnen.

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