Prostitution ist momentan ein heftig umstrittenes Thema in den Medien. Und Alice Schwarzer meldet sich am lautesten zu Wort, wenn es um (Zwangs-)Prostitution geht – doch macht sie das tatsächlich zu einer Expertin? Am 12. November lud das internationale Frauenforum „Migra!“ Mechthild Eickel von der Bochumer Prostituierten-Beratungsstelle Madonna e.V. an die RUB ein, um über „Sexarbeit und Migration“ zu referieren. Auf Alice Schwarzer und deren Kreuzzug gegen die Prostitution ist Eickel nicht gut zu sprechen.
Alice Schwarzer und Mechthild Eickel haben ein gemeinsames Thema, doch ihre Meinungen, Ansätze und Argumente dazu könnten unterschiedlicher nicht sein. Die eine spricht von (Zwangs-)Prostitution, die andere von Sexarbeit. Während die eine Prostitution verbieten möchte, setzt die andere sich für sichere und anerkannte Arbeitsplätze in der Sexarbeit ein. Mechthild Eickel ist bereits seit 1988 in der Beratung von Prostituierten tätig und erlebt tagtäglich, was die Frauen, über die so viel gesprochen wird, tatsächlich bewegt. Sie arbeitet bei der Beratungsstelle Madonna e.V., die sich 1991 in der Tradition der Hurenbewegung gegründet hat und seitdem für die Interessen von Sexarbeiterinnen einsetzt. Madonna e.V. bietet Beratungs- und Bildungsangebote für die Frauen in der Sexarbeit an und sucht zweimal wöchentlich Sexarbeiterinnen für ihre Beratung in verschiedenen Etablissements in Bochum auf.
Zwangsprostitution oder Arbeitsmigration?
Seit dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien 2007 sind besonders viele Frauen aus diesen Ländern nach Deutschland gekommen, die hier in der Sexarbeit tätig waren oder sind – in diesem Punkt sind sich Schwarzer und Eickel einig. Doch heißt es bei Schwarzer und in vielen Medienberichten über diese Frauen, die meisten von ihnen hätten ausbeutende Zuhälter, wären durch falsche Versprechen hierhin gelockt worden, seien Opfer des Menschenhandels und wären Zwangsprostituierte, würden also sexuelle Zwangsarbeit leisten. Mechthild Eickel wollte mit ihrem Vortrag mit diesem – ihrer Ansicht nach – klischeehaften und falschen Bild der aus den EU-Beitrittsländern kommenden Prostituierten aufräumen.
Eickel stellte deshalb auch klar, dass sie aufgrund ihrer Arbeit den Eindruck hat, dass auch die Osteuropäerinnen sich in den allermeisten Fällen freiwillig und bewusst für die Sexarbeit entscheiden – zumindest freiwillig im Rahmen der vorherrschenden ökonomischen Zwänge. „Die meisten entscheiden sich dazu, nach Deutschland zu kommen, weil sie sich hier bessere Lebensverhältnisse erhoffen. Weil sie in ihren Heimatländern keine Arbeit finden, von der sie und ihre Familien leben können.“ Sei es, dass die Frauen gleich nach Deutschland kommen, um hier als Prostituierte zu arbeiten, sei es, dass sie hierzulande zunächst in einem anderen Beruf arbeiten und dann in die Sexarbeit umsteigen. Die schulische Qualifikation der Frauen variiert dabei erheblich: Viele haben keinen Schulabschluss oder sind gar Analphabetinnen (besonders bei den Roma-Frauen), viele haben aber auch Abitur oder Hochschulabschlüsse – die in Deutschland jedoch teilweise nicht anerkannt werden.
Weiter klärte Eickel auf, dass direkter Zwang in der Prostitution in Wahrheit eher selten vorkommt. Sehr viel häufiger haben die Frauen mit verschiedenen Formen wirtschaftlicher Ausbeutung zu kämpfen. Gerade Migrantinnen, die erst kurze Zeit in Deutschland sind und (noch) kein Deutsch sprechen, lassen sich häufig eine Weile lang geschäftlich ausbeuten oder betrügen. Eickel befürwortet zur Bekämpfung solcher Zustände und zur Sicherung genereller Mindeststandards durchaus eine stärkere staatliche Regulierung der Sexarbeit – allerdings nur unter Beteiligung der SexarbeiterInnen und der UnternehmerInnen im Bereich der Sexarbeit. Was die in den Medien gerne angeprangerten Flatrate-Bordelle angeht, so sind die konkreten Bedingungen in solchen Etablissements häufig problematisch, während das Geschäftsmodell an sich für Eickel „in Ordnung“ ist. Gegensätzlicher könnten die Ansichten wohl kaum sein.
Rechte statt Verbote!
Nach ihrer langjährigen Erfahrung schätzt Mechthild Eickel die Prostitution nicht als Form der Arbeit ein, die per se traumatisierend sein muss, sondern als eine die ähnlich emotional belastend ist, wie die Arbeit in der Altenpflege. Zu den größten Problemen der Prostituierten gehört das gesellschaftliche Stigma, welches meist zu einem Doppelleben und oft zu gesellschaftlicher (Selbst-)Isolation führt. Daher sind Akzeptanz und Anerkennung der Sexarbeit unbedingt vonnöten, um die Situation der dort tätigen Frauen zu verbessern. Stigmatisierung, Verdrängung und Kriminalisierung schädigen und gefährden dagegen die Prostituierten.
Weitere Informationen im Internet unter:
www.madonna-ev.de
Ein Appell für die Rechte von Prostituierten, den jedeR unterzeichnen kann:
http://tinyurl.com/qy3vlvw
Anna Schiff und Patrick Henkelmann
4 comments
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Eine Schande
Hier wird glaube ich mit keinem Wort erwähnt, dass solche „Sexarbeitsvereine“ wie der oben genannte meistens von Althuren geleitet werden, die inzwischen selbst Frauen verkaufen. Die 90% Rumäninnen und Bulgarinnen haben keine Stimme. Gut, dann hab ich das hiermit getan.
Der Mitautor Patrick Henkelmann nennt irgendwo im Archiv Thailand eiin Urlaubsparadies und gefällt sich – wie man hier lesen konnte- darin, Prostitutionswerbung vom Feinsten zu schreiben.
Dann für die eigenen Interessen ausschließlich Lobbyisten als Quellen zulassen. Bei solchen Geschlechtsgenossen fällt mir nichts mehr ein. Da ist jeder Satz sinnlos.
Alice Schwarzer mag in vielem Unrecht haben, aber hier trifft sie den Punkt: Unterzeichnet hier, um das Leid tausender rumänischer und bulgarischer Frauen endlich abzuwenden.
http://www.emma.de/thema/der-appell-gegen-prostitution-111249
Antwort von Patrick Henkelmann
Vereine wie Madonna wollen doch gerade auch den rumänischen und bulgarischen Sexarbeiterinnen in Deutschland endlich eine Stimme geben. Zumal diese Frauen besonders stark als Opfer stigmatisiert und von ProstitutionsgegnerInnen wie Alice Schwarzer für ihre Propaganda missbraucht werden.
Im Kommentarbereich zu meinem letzten Prostitutions-Artikel im Juni hatte ich mir mehrere Monate lang eine Grundsatzdiskussion mit einer Prostitutionsgegnerin geliefert: http://bszonline.de/artikel/%E2%80%9Ebordell-deutschland%E2%80%9C
Bei Ihrem Kommentar kam mir gleich wieder der Anfang meines Beitrags vom 19.10. bei jener Diskussion in den Sinn.
Femeile din Romînia sînt
Femeile din Romînia sînt foarte bine capabile sa vorbeasca pentru ele. Intrebarea este numai: Cine le asculta?
Scheindebatte?
Es ist schon traurig, wenn ökonomische Zwänge mit Freiwilligkeit in verbindung gebracht werden. In der ökonomischen Fehlstrukturierung der Weltwirtschaft liegt doch das eigentliche Problem.
Ein Verbot führt wahrscheinlich nur zu einer Lokalverlagerung, dann müssen die Freier halt nicht in die nächste Stadt, sondern ins nächste Land fahren. Daneben wird es dann einen düsteren lokalen Markt, der vermutlich Gefangenschaftsprostitution fördern würde.
Echte Sexarbeiterinnen, also diejenigen die ihren Job ernsthaft gerne tun würden bei einem Verbot im Umkehrschluss gezwungen etwas anderes tun.
Ich kenne auch die Pathologie der Freier nicht, besteht nicht die Gefahr, dass die Vergewaltigungsraten steigen, wenn man Prostitution verbietet? Wie könnte man dann dagegen etwas tun? Ist dies möglicherweise ein Ansatz Prostituierten einen Anerkennungsstatus zu geben?
In jedem Fall denke ich, dass mindestens ökonomische (Zwangs)prostitution nicht durch Gesetze gelöst werden kann, die nicht die Weltwirtschaft und die daraus resultierenden Probleme behandeln. Bestenfalls können lokale Gesetze zu bessern Bedingungen führen. Ist das Ganze also wohlmöglich eine Scheindebatte, die wie so viele Debatten nur an der Oberfläche kratzen?