Bild: Nicht nur Wanne-Eickel hat einen schönen Mond: Requisiten und Theater mit Herz aus Bochum und Krakau., Marc-Uwe Kling und deutsch-polnisches Theaterprojekt begeistern den Campus Foto: USch

(USch, Łukasz Łaski) Gegensätze ziehen sich an: Während der Berliner Kabarettist, Liedermacher und Autor Marc-Uwe Kling am Freitag vor ausverkauftem Haus mit seinen Satiren über die Leiden des Mitbewohners eines politisierten Kängurus das Zwerchfell des Publikums zum Beben brachte, brillierte am Samstag ein Bochum-Krakauer Theaterprojekt im Musischen Zentrum. Die :bsz war an beiden Abenden für Euch dabei!

„Man kann bestimmt schneller hier vorne stehen, wenn man sein Studium abbricht“, begann der 1982 geborene Ex-Student der Philosophie und Theaterwissenschaft seinen anfangs als Vorlesung getarnten Vortrag im vollbesetzten HZO 10, dem zweitgrößten Hörsaal der Ruhr-Uni Bochum. Doch bevor der zweimalige Gewinner der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften beweisen konnte, wie wahr dieser Satz sein kann, kam als special guest sein ‚Vorleser’ und einer von Klings Co-Autoren eines „Lesedünenbuchs“ über „Systemrelevanten Humor“ zum Zuge, das 2012 unter dem Michel Foucault verfremdend zitierenden Titel „Über Wachen und Schlafen“ erschienen ist: Maik Martschinkowsky, dessen Einstiegstext von der Inbrandsetzung eines Arbeitsamtes berichtet. „Was tun, wenn’s brennt?“ Die Antwort eines beherzten Feuerwehrmanns auf diese Frage lautet entschlossen und eindeutig: „Brennen lassen!“ Insbesondere, wenn es sich um das Arbeitsbeschaffungsamt handelt… Die nachfolgenden „Sicherheitshinweise zur kapitalistischen Marktwirtschaft“ kommen – zumindest für das abgebrannte Arbeitsamt – zu spät.

Als dann der frischgebackene Gewinner des Deutschen Hörbuchpreises 2013, den er mit der Vertonung seiner „Känguru-Chroniken“ erhalten hat, wieder die Bühne entert, hat das Publikum jedenfalls schon gut vorgeglüht und die – angesichts der geballten Kapitalismuskritik etwas hochpreisigen – 24,10 (ermäßigt 15,60) Euro Eintritt scheinen vielversprechend angelegt. Die Weiterentwicklung des bissig-witzigen Plots der Kling’schen Geschichten über den anstrengenden anarchistischen Känguru-Mitbewohner, der nach einer Abschiebung zurückgekehrt und in den Untergrund gegangen ist, wechselt sich ab mit nachdenklichen Liedern sowie (historischen) Promis, mythologischen Gestalten, fiktiven Figuren und (ehemals) real existierenden Firmen falsch zugeordneten Zitaten: „Liebe Leute: Ihr müsst nicht nach Hause gehen – aber hier könnt Ihr nicht bleiben“, heißt es – Anton Schlecker in den Mund gelegt – am Ende eines wunderbaren Abends. In Erinnerung bleiben wird insbesondere Marc-Uwe Klings kurzweilige Blues-Ballade vom traurigen Trinkvogel, während der er wiederholt wie in Zeitlupe mit der Nase aufs Keyboard sinkt und dabei die Herzen des Publikums berührt. Und natürlich das (an dieser Stelle ausnahmsweise old-school geschriebene) Känguruh, das seinem genervten Mitbewohner in Zeiten eines völlig überhitzten Turbokapitalismus einen genialen Tauschhandel anbietet, als es in dessen Zimmer Posaune üben will: Gewaltfreiheit gegen Ruh’. Gegensätze ziehen sich an…

Krakboom!

Manchmal aber reicht bloße Gegensätzlichkeit nicht aus, um eine Anziehung hervorzurufen. Dann bedarf es schon übernatürlicher Kräfte, um das in Verbindung zu bringen, was so wenig miteinander zu tun hat wie die Städte Bochum und Kraków, zu Deutsch Krakau. So schickt sich denn auch zu Beginn des deutsch-polnischen Theaterstücks „Eine Nacht in / Pewnej nocy w Krakboom“ ein dämonisches Duo an, die Städte durch einen Zauber für eine Nacht verschmelzen und die ansässigen Legenden aufeinandertreffen zu lassen. Dazu bedarf es nur einiger Zutaten aus den jeweiligen Regionen: Wasser aus Ruhr und Weichsel, ein bisschen Kohle, obwarzanek (eine Krakauer Backspezialität) und etwas U35 – schon kann der Tanz der Teufel beginnen…

Auch die Sprachen vermischen sich: So spricht die Teufelin Deutsch, der Teufel Polnisch. Beide bieten dem Bochumer Studenten Pawel einen Pakt an, durch den er sich in der Weichsel wiederfindet und dort auf Wanda stößt, die laut einer polnischen Legende Tochter des Krakauer Herrschers Krak war und lieber ertrank als einen Deutschen zu heiraten. Im Stück ist einer der Werber Jörg, ein Schweinehirt aus dem Muttental, der die Gunst Wandas mit schwarzen Kristallen erlangen will, die Licht und Wärme spenden. Pawel bietet Wanda seine Hilfe an, die ihn daraufhin in den Adelsstand, zum polnischen Pan (zu Deutsch etwa ‚Herr’), erhebt. Pawel verwandelt sich in Pan Twardowski, dem bekanntesten Teufelspaktierer Polens, eine Gestalt vergleichbar mit dem deutschen Faust.

Zahlreiche weitere legendäre Gestalten aus beiden Gegenden treffen im Verlauf der Vorführung aufeinander, ohne dass sich der phantasievolle rote Faden verliert. Der Emscher-Neck tritt ebenso in Erscheinung wie der Ring der polnischen Heiligen Kinga; auch der Krakauer Waweldrache, in zweiköpfiger und zweisprachiger Variante, tritt auf. Auch wenn aufgrund der Zweisprachigkeit nicht jedes Detail gleichermaßen dem nur polnisch- oder deutschsprachigen Zuschauer klar wird, gelingt insgesamt eine witzige und liebevolle Vereinigung der geographisch weit auseinanderliegenden wie kulturell unterschiedlichen Städte. Unterstrichen von modernen Akzenten, als die legendären Gestalten beispielsweise kurz zu Grönemeyers Bochum-Hymne tanzen, sowie bereichert durch weitere Anspielungen auf Sagen, wie den Lajkonik, eine Erinnerung an die Tatarenüberfälle auf Krakau, ist den Studierenden der RUB und der Jagiellonen-Universität in nur zehn Tagen eine große Leistung gelungen. Ein „Glückauf“ verdient das internationale Theaterprojekt vor allem angesichts der kreativen Verbindung unterschiedlichster phantastischer Inhalte zu einem stimmigen und unterhaltsamen Ganzen, der authentischen Verkörperung ihrer Rollen und der harmonischen Interaktion trotz kürzester Vorbereitung, sodass das ganze Stück eine überzeugende Einheit bildet. Möge die interkulturelle Brücke zwischen Bochum und Krakau weiter ausgebaut werden!

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