22. September, Bochum, Wahlkabine. Mit der Erststimme soll man eineN Direktkandidaten/-in wählen, doch viel zu oft macht man aus Unwissen dort sein Kreuzchen an der gleichen Stelle wie in der rechten Spalte. Die :bsz stellt die DirektkandidatInnen für Bochum vor.
Bochum wird in zwei Wahlkreise mit insgesamt ca. 404.000 Wahlberechtigten geteilt: Bochum I (Wahlkreis 140) umfasst die Stadtbezirke Mitte, Wattenscheid, Süd und Südwest; der WK 141, Herne/Bochum II, umfasst den Bochumer Norden und Osten sowie die komplette Stadt Herne. Beide Wahlkreise haben seit 1961 fast durchgängig mit absoluter Mehrheit SPD-Direktkandidaten nach Berlin entsandt.
SPD
Den seit 2002 Herne im Bundestag vertretenden Gerd Bollmann will die 33-jährige Michelle Müntefering ablösen. Die gelernte Kinderpflegerin und studierte Journalistin war bisher in der Lokalpolitik Hernes und im Vorstand der NRWSPD aktiv. Sie zeigt sich sehr mit ihrer Heimatstadt verbunden und weist darauf hin, wie wichtig die Arbeit im sozialen Bereich ist. Leider geht die Frau des Ex-Vizekanzlers Franz Müntefering in ihrer Selbst- und Programmdarstellung wenig auf die Bochumer Teile ihres Wahlbezirks ein – stehen da doch die traditionell SPD-affinen und in den letzten Jahren hilfsbedürftigen Opel-Werke und viele weitere Industriebetriebe.
Axel Schäfer ist seit 2002 Vertreter von Bochum I in Berlin. Zudem ist er Vorsitzender der Landesgruppe NRW der SPD-Fraktion. Bei der Wahl 2009 erzielte er mit 43 Prozent das schlechteste Erststimmenergebnis in Bochum I für die SPD seit 1961. Anders als seine Kollegin aus Herne steht er nicht für die Politik im Lokalen und Regionalen, sondern für die großen, übergreifenden Themen: Der ehemalige Abgeordnete des Europäischen Parlaments ist auch heute stellvertretender Fraktionsvorsitzender für die Bereiche Europa und Petitionen. BürgerInnenentscheide auf Bundesebene findet er gut. In Sozial- und Arbeitsfragen zeigt er sich ganz sozialdemokratisch, lehnt Waffenlieferungen in Krisengebiete allerdings nicht kategorisch ab.
CDU
Der amtierende Bundestagspräsident ist ein Bochumer: Norbert Lammert wurde in Bochum geboren, ging im Gymnasium am Ostring zur Schule, studierte und promovierte an der RUB. Wegen Letzterem geriet der Soziologe kürzlich in die Kritik: Zurzeit wird seine Dissertation wegen eines Plagiatsvorwurfs überprüft. Lammert ist ehrenamtliches Mitglied zahlreicher Kulturstiftungen und -unternehmen im Ruhrgebiet, bekommt für seine Position im Aufsichtsrat der RAG aber „über 7.000 Euro jährlich“. Im Bundestag hat Lammert im Laufe des Jahres für Bundeswehreinsätze in Mali und im Libanon, gegen schärfere Regeln gegen Abgeordnetenbestechung sowie gegen eine Frauenquote in Aufsichtsräten gestimmt. Unter PolitkerInnen aller Fraktionen genießt er Respekt.
In Herne/Bochum II kandidiert Ingrid Fischbach für die CDU. Die ehemalige Gesamtschullehrerin setze sich seit ihrem „ersten Einzug in den Deutschen Bundestag 1998 (…) im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die dort diskutierten Belange ein“. Sie fühle sich den „Familien und hier insbesondere den Kindern in unserem Land besonders verpflichtet“, genauso „Menschen mit Behinderung und Menschen in prekären Lebenslagen“. Die Vorsitzende der Frauen-Union in NRW war eine von 13 CDU-PolitikerInnen im Parlament, die sich im Sommer 2012 für das Ehegatten-Splitting auch für die Homo-Ehe einsetzte.
Bündnis 90/Die Grünen
Besonders wichtig ist ihm der Blick über die Grenze: Frithjof Schmidt war, bevor er 2009 in den Bundestag einzog, Europa-Abgeordneter der Grünen und in den 80er und 90er Jahren als Redakteur für Zeitschriften zur internationalen Wirtschaft tätig. Darüber hinaus gab er die Zeitschrift „der Freitag“ mit heraus. Die Europa- und Weltpolitik durchzieht seine politische Karriere. Bis auf den Mali-Einsatz hat er seit 2012 die Bundeswehr in jeder Abstimmung ins Ausland geschickt. Im Zuge der Eurokrise stimmte er für finanzielle Rettungspakete.
„Ich habe mich heute am Sammeleinspruch gegen das Monsanto-Patent auf konventionell gezüchteten Brokkoli beteiligt“, schrieb Sabine von der Beck (WK 141) im August auf ihrer Homepage. „Energie/Ökologie“ und „Ruhrgebiet“ sind die Schwerpunktthemen der ruhrgebietsverbundenen PR-Beraterin. Ihre VWL-Diplomarbeit behandelte die „sozialpolitischen Aspekte des Konflikts in Nordirland“. Politische Erfahrung hat sie als Mitglied des Recklinghäuser Kreistags und als derzeitige Fraktionsvorsitzende im Regionalverband Ruhr sammeln können.
Die Linke.
Sevim Dağdelen vertritt seit 2009 Bochum I (2005: Krefeld II – Wesel II) über die Landesliste im Bundestag. Die 38-jährige Tochter türkischer EinwanderInnen gehörte zu den UnterzeichnerInnen der Gründung der innerparteilichen Strömung „Antikapitalistische Linke“. Sie setzt sich intensiv mit Migrationspolitik und NS-Aufarbeitung auseinander und ist entschieden gegen eine NATO-Intervention in Syrien. Auf den Plakaten wirbt sie teilweise mit Slogans auf Deutsch und auf Türkisch. Was ist jedoch mit den anderen nationalen – und ethnischen – Minderheiten im Land?
Der 44-jährige Informatiker Markus Dowe sagt der WAZ im Interview, seine größte Stärke sei „das Suchen und Finden von praktischen Lösungen“. Er setzt sich gegen „den neoliberalen Angriff“ ein und dagegen, dass die Kommunen im Ruhrgebiet „kaputtgespart“ werden. Die Grünen waren ihm zu wenig demokratisch und zu wenig sozialistisch, die SPD sowieso. Offiziell politisch aktiv ist der Gewerkschafter sowohl als Sprecher im Kreisverband seiner Partei als auch im Kulturausschuss der Stadt Herne.
Piratenpartei
Christina Worm (WK 140) ist selbstständige Rechtsanwältin und seit 2012 bei den Piraten. Ihre politischen Schwerpunkte setzt sie in den Bereichen „Sozial- und Arbeitspolitik, Rechtspolitik, Tierschutz und Verbraucherschutz“ – versteift sich also nicht auf das enge thematische Korsett, das der Piratenpartei von außen gerne angelegt wird. Natürlich hat sie sich in ihrem Blog auch über den Prism- und Tempora-Skandal aufgeregt, beendet ihren Post mit einem empörten, aber nichtssagenden „Für wie blöd hält man uns eigentlich?“
Ebenfalls empört zeigt sich Kandidat Andreas Prennig in seinen öffentlichen Mitteilungen. Drastische Worte findet der Chemietechniker für Missstände im Land immer wieder: „Derzeit existiert de facto keine Privatsphäre in Deutschland. Das Grundgesetz wird hier unterlaufen und die Bürger werden in eine Geiselhaft der Angst genommen!“ Seine Kernthemen passen zu den Piraten und seinem Beruf: „Datenschutz, IT-Sicherheit, Bürgerrechte, Wahlrecht, Forschung, Energiepolitik und Reaktorsicherheit.“ Seinen Worten hat der 53-Jährige, wie auch Worm, bisher in keinem politischen Amt Taten folgen lassen können.
FDP
Der 26-jährige Jura-Student an der RUB Dennis Rademacher will für die FDP und Bochum nach Berlin. Im vergangenen Jahr bereits für die Landtagswahl als Kandidat aufgestellt, will er nun bei der großen Wahl gegen „massive Eingriffe in die Bürgerrechte (Vorratsdatenspeicherung, Zensur des Internets)“ und gegen „Überreglementierung unseres Alltags (Ladenschlussgesetz, Glühbirnenverbot)“ vorgehen.
44 Jahre, selbständig, aus Herne: Frank Leschowski ist Bezirksvertreter der Herner FDP und befürwortet die berühmte Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passt. Sollte er es ins ferne Berlin schaffen, will er erreichen, dass „die Stimme des Ruhrgebiets nicht ungehört bleibt“.
Ferner liefen…
Die NPD und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) schicken ebenfalls DirektkandidatInnen in den Wahlkampf. Für die NPD treten an: der vorbestrafte NPD-NRW-Vorsitzende und Bochumer Ratsmitglied Claus Cremer (WK 140) sowie Markus Schumacher. Die MLPD-KandidatInnen heißen Peter Weispfennig (WK 141) und Vesna Buljevic.
0 comments