Es ist Sonntag, ein schöner Frühlingsnachmittag: Blauer Himmel, blühende Bäume, sonnig aber noch nicht so richtig warm. Die GastronomInnen im Bermudadreieck haben schon fleißig Außenbestuhlung aufgefahren. Und ein Blick über den gut möblierten Konrad-Adenauer-Platz lässt erahnen: Hier geht’s in den Sommermonaten wieder ordentlich rund. Ich bin früh dran, zu früh. Von meinen Gesprächspartnern fehlt noch jede Spur und wo genau war eigentlich der Treffpunkt? Da hilft nur abwarten, hinsetzen und nach den erwarteten Gesichtern Ausschau halten. Keine Bank weit und breit, mache ich es mir auf dem etwa einen Zentimeter breiten Metallrand eines mehrere Kubikmeter fassenden Blumenkübels bequem, der einen Baum, vielleicht eine Palme, beherbergt. Wer sich den Quatsch ausgedacht hat, überlege ich. Und damit wären wir beim Thema:
Die Geschichte und Zukunft des in den frühen 80ern gewachsenen Kneipenviertels Bermudadreieck „zwischen Kreativquartier und privatisiertem öffentlichem Raum“ sollte am vergangenen Sonntag (28. April) ein vom Kulturbahnhof Langendreer organisierter Stadtrundgang mit anschließendem Streitgespräch beleuchten. Dabei scheinen wir bereits am Ende dieser Geschichte angelangt. Die öffentlichen Räume wurden kommerziellen Interessen von großen GastronomInnen untergeordnet und sind inzwischen teilprivatisiert. Kiosk und Billiglokal sind verdrängt – genauso wie die Menschen, die dort verkehrten. Stattdessen bestuhlen BetreiberInnen fast von einer bis zur anderen Straßenseite. Der Konrad-Adenauer-Platz (KAP) ist ein riesiger Biergarten mit – so wird gescherzt – Oktoberfest-Preisen. Zwar soll dort jedeR ohne Konsumzwang verweilen dürfen, doch ist dies keinesfalls offen ersichtlich. Eher setzt man sich aus Verlegenheit in einen Blumentopf. Auch die Zeiten, in denen sich im Quartier Kreative trafen, um Kreatives zu tun, außergewöhnliche Gastronomie zu etablieren, liegen so weit zurück, dass man sich angesichts der SpaßtouristInnen und JunggesellInnenabschiede heute kaum daran erinnert.
Demokratischer Prozess?
Nicht trotzdem, sondern offenbar gerade deswegen wurde das Viertel zum Besuchermagneten und Aushängeschild der Stadt. „Gelungen ist dies, weil das Bermudadreieck etwas Metropolenhaftes ins Ruhrgebiet hinein gebracht hat, ja, im Sommer sogar etwas Mediterranes“, schreibt Raumplaner Dr. Arnold Voss – der am Sonntag den sachkundigen Stadtführer gibt – in seiner zwanzigteiligen Quartiersgeschichte, veröffentlicht im Ruhrbarone-Blog. Ein wenig Eigenlob ist dabei. Denn als Autor des „Entwicklungskonzepts Bermuda3eck“ hat er dessen neue Gestalt mitgeprägt. Seinen persönlichen Geschmack treffe das Ergebnis nicht unbedingt. „Aber der öffentliche Raum ist ein zu teilender Raum – keiner der Freiheit, sondern einer der Kompromisse“, konstatiert der Stadtentwickler. Ein Dreieck mit Abstrichen sei ihm lieber als eine aalglatte und kneipengastronomisch tote Innenstadt, wie z.B. in Essen. Voss ist Inhaber des Planungsbüros „Office for the Art of Planning“ in Berlin und Bochum. Er lehrte an der TU Berlin, RWTH Aachen und der New Yoker Columbia-Universität in den Bereichen Stadtplanung, Stadtentwicklung und Städtebau. Jetzt steht er auf der Bühne am KAP, auf einem Stein an der Viktoriastraße, wo das neue Musikzentrum gebaut wird, oder dort, wo bis 2009 der Engelbertbrunnen sprudelte, und sucht mit wortgewandter Vehemenz ‚sein’ Bermudadreieck zu verteidigen. Er redet vor inzwischen rund 80 interessierten ZuhörerInnen, die ihm auf Schritt und Tritt folgen. Darunter auch ein besonders kritischer: Wolfgang Wendland – Wattenscheider Bezirksvertreter (Die Linke), Musiker, Kulturpessimist und Zyniker, der zuletzt nackt im Privatfernsehen zu bewundern war. Als Altpunker setzt er sich für das Recht auf Nutzung öffentlicher Plätze ein und kritisiert vor allem die sukzessive Verdrängung der Punkszene von KAP und Engelbertbrunnen seit Mitte der 80er Jahre. Arnold Voss sieht das neue, kantenlose und kommerzialisierte Bermudadreieck als Ergebnis eines demokratischen Prozesses, was der ökonomische Erfolg belege. Wolfgang Wendland hingegen schwebt ein liberaleres Konzept vor, ein toleranteres Mit- oder zumindest Nebeneinander von Menschen mit unterschiedlichen Interessen, „auch wenn dann mal ein Tisch fliegt“, sagt er.
Der Knackpunkt dieser ungleichen Diskussion ist eine Art „Henne-Ei-Problem“: Voss und die GastronomInnen berichten, dass es in der Vergangenheit heftige Probleme gegeben habe. Zu hartes Trinken, Drogenmissbrauch, Pöbeleien und Gewalt – auch Prostitution, aber das ist eine andere Baustelle – waren schlecht für Ruf und Geschäft. Wendland entgegnet, dass das aufständische Verhalten eine Reaktion auf die vorausgeworfenen Schatten der Privatisierung gewesen sei, klagt an, am freien Protest gehindert worden zu sein. Zumindest, dass das Quartier zwischen Südring und Konrad-Adenauer Platz nicht die eine Geschichte hat, gesteht auch deren Schreiber Arnold Voss gerne ein.
Kreativ werden – Freiräume nutzen
Und so sitzen die Kontrahenten schließlich auf einer Couch in der kargen Rotunde. Wendland ganz links, Voss ganz rechts in die Kissen gedrückt, beide recht peinlich berührt vom Gespräch, das irgendwie festgefahren ist. „Zukunft“ lautet ein letzter Punkt auf der Tagesordnung: Wünschenswert fürs Dreieck, so sind sich Voss und fast alle Mitdiskutierenden einig, wäre ein Stopp der fortschreitenden Monofunktionalisierung. Das könnte zum Beispiel mittels neuer künstlerisch kreativer Impulse, abseits der Massengastronomie, geschehen. Die Vorstellung, mit Kunst etwas zu verändern, hält Wendland allerdings für illusorisch. Zu Unrecht, wie sich im Umfeld des Bermudadreiecks zeigt. Das geplante Musikzentrum trage zwar weniger dazu bei, so Voss, aber beispielsweiseAktionen wie die des Bochumer Künstlers Matthias Schamp, der mit einer Performance subversiv das umzäunte Brachgelände am Katholikentagsbahnhof okkupierte. Nachdem die Stadt jahrelang keinen Investor in dieses Bauland gefunden hat, will nun die in der Rotunde ansässige künstlerisch wissenschaftliche Einrichtung „C60 Collaboratorium für kulturelle Praxis“ zur Diskussion darüber anregen, was mit dem Gelände passiert. Die Rotunde an sich gäbe es gar nicht, wenn nicht Leo Bauer, Pionier der ruhrpöttischen Außenbestuhlung im Dreieck, das Gebäude gekauft und KünstlerInnen zur Verfügung gestellt hätte. Generell sei der kapitalistische Knoten am Bermudadreieck aber sehr fest gezurrt. Womöglich zu fest, um ihn noch einmal zu lösen.
Keine Gentrifizierung, dafür Verarmung, ideenlose Leerstandsverwaltung und ein großes Bedürfnis nach Freiraum: „Im Ruhrgebiet gibt es andere Probleme als in Hamburg und Berlin“, sagt Kristin Schwierz vom Bahnhof Langendreer. Die Reihe „Interventionen – Stadt für alle“ wird sich noch das ganze Jahr über damit befassen.
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