Kommentar. Feminismus ist mehr als Männerhass. Es geht darum, jeden Tag strukturelle und persönliche Kämpfe auszutragen, politische Schlachten im Privaten auszutragen und manchmal sogar darum, sexistische Strukturen innerhalb der engsten Kreise zu erkennen und aufzubrechen.
Fast jeden Tag werde ich gefragt, warum ich Feministin bin. In Deutschland müsste doch niemand mehr Feministin sein, schließlich hätten wir doch das Wahlrecht, eine Bundeskanzlerin und arbeiten dürften wir auch. Am internationalen FLINTA-Kampftag geht es um die strukturellen Probleme, die Feminst*innen bis heute jeden Tag bekämpfen. Aber es geht auch um die kleinen, persönlichen Schlachten, die jede
FLINTA-Person jeden Tag zu schlagen hat.
Ich bin nicht zur Feministin geworden, weil ich cis-Männer hasse, zu wenig männliche Nähe erfahre oder mir einfach nur langweilig ist. Wie alle anderen auch, bin ich nur die Summe meiner Teile, das Konstrukt tausender Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Wann immer ich gefragt werde, warum ich Feministin bin, möchte ich als erstes fragen, warum mein Gegenüber es nicht ist.
Meine erste bewusste Erfahrung mit der Sexualisierung meines Körpers hatte ich, als ich acht Jahre alt war und mit meiner Freundin im Sommer bei 25 Grad im Bikini im Garten gespielt habe. Als wir unser Spiel vor das Haus verlagern wollten, nahm meine Mutter mich zur Seite und erklärte mir, dass ich mir jetzt etwas anziehen müsste. Ich werde niemals vergessen, wie sie sehr bedeutungsschwanger zu mir sagte: „Was sollen die Männer da draußen denken, wenn sie dich so sexy sehen?“ Meine erste Sexualisierung erfuhr ist also nicht einmal durch einen Mann, sondern durch meine eigene Mutter, die ihre Erfahrungen und Schutzmechanismen auf direktem Wege an mich weitergegeben hat.
Seither weiß ich, dass mein Körper etwas Polarisierendes ist. Ich wurde sensibler dafür, was ich anziehe und in welchem Ausmaß ich meinen Körper bedecken muss, um attraktiv, aber nicht aufreizend zu sein. Ich wurde älter, aber es wurde nie leichter. Die Wahrnehmung meiner Mitmenschen änderte sich, ebenso wie die Wahrnehmung meiner selbst. Einen weiblichen Körper zu haben schien etwas Gefährliches zu sein. Ich durfte keinen roten Lippenstift und keine kurzen Röcke tragen, weil mich das zu einer Hure gemacht hätte. Wer das entschieden hat, weiß ich bis heute nicht.
Generell haben mich in meinem Leben bisher schon viele verschiedene Dinge zur Hure gemacht. Das erste Mal einen Tampon benutzten zu wollen, eine Netzstrumpfhose tragen zu wollen, einen Jungen zu küssen, aber auch, einen Mann nicht küssen zu wollen, nachdem er mir für 2,50€ einen Tequila im Club gekauft hat. Scheinbar hat jeder Mensch in meinem direkten Umfeld einen Anspruch darauf, zu entscheiden, was mit meinem Körper passiert, außer mir.
Mein erster Freund hat sich in den Türrahmen gestellt und mir den Weg versperrt, als ich nach Hause gehen wollte. Ein 60-jähriger Fremder im Internet hat mich zu einem Gratisurlaub in seinem Ferienhaus in der Schweiz eingeladen. Ein 30-jähriger wollte Fotos von mir in Unterwäsche, um meine Aura auswerten zu können, da ich angeblich vom Teufel besessen war. Meine gesamte Jugend über habe ich erfahren, wie cis-Männer meinen Körper einnehmen wollten, denn schließlich ist mein Körper immer etwas Polarisierendes gewesen.
Ich möchte es hier also endgültig erklären. Ich bin Feministin, weil ich in einer Gesellschaft aufgewachsen bin, in der mein Körper von Anfang an gegen meinen Willen sexualisiert wurde. Ich bin Feministin, weil cis-Männer Gewalt ausgeübt haben, um ihre Macht über mich als Frau zu demonstrieren. Ich bin Feministin, weil ich nachts nicht ohne Angst zu haben allein nach Hause laufen kann.
Ich bin Feministin, weil ich im Patriarchat lebe.
:Gastautorin Louie
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