Wertewandel. Michael Hirsch stellte vergangenen Mittwoch in der Oval Office-Bar sein neues Buch mit dem Titel „Richtig Falsch. Es gibt ein richtiges Leben im Falschen“ vor.
Die knapp 30 Zuhörer*innen kleben an seinen Lippen, wenn der selbsternannte radikal-reformistische Philosoph und Politologe Michael Hirsch in höchst intellektueller Sprache über seine neuste Publikation referiert. Sein Vortrag ist Teil des Wander-Salons der urbanen Künste Ruhr, der sich stets in anderen Räumlichkeiten niederlässt. Der derzeitige Oberbegriff ist Klima. Am vergangenen Mittwoch ging es jedoch nicht um steigende Temperaturen, sondern um das gesamtgesellschaftliche Klima. Um genau zu sein um eine feministische, neomarxistische Analyse darüber, wie sich das Individuum aus dem vorherrschenden Klima der gegenseitigen Aufrüstung befreien könne. Hirsch beschreibt einführend das konkurrierende Dasein der Menschen. Für ihn gleiche das heutige Zusammenleben einem Wettrüsten von angeeigneten Kompetenzen oder anders gesagt von kulturellem Kapital. Jede Handlung wird an dem Nutzen für den gesellschaftlichen Aufstieg gemessen. Der wiederum beschränke sich auf die Karriere und Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Die ausufernde Konkurrenz führe zu einer Zeitnot, die einen antisozialen und antiökologischen Umgang fördere und ein Lebensgefühl des „nie genug haben und nie genug sein“ hinterließe.
Der Weg zu einer befreiten Gesellschaft, so Hirsch, brauche ein neues Modell des gelingenden Lebens: Einen Gesellschaftsvertrag der Abrüstung. In der Handlungen belohnt, anerkannt und wertgeschätzt werden, die außerhalb der Lohnarbeit liegen. Er meint damit vor allem die geleistete Reproduktions-, Sorge- und Pflegearbeit, die vor allem von Frauen geleistet wird. Im heutigen gesellschaftlichen Klima sei die Arbeit nichts wert, mit der sich kein Geld machen ließe. Er spricht dem Staat bei der Setzung der Rahmenbedingungen für diese Bewertung eine wichtige Rolle zu. Sein angeführtes Beispiel ist das Rentensystem, in dem eine knallharte Übersetzung von Leistung stattfände. Das Rentensystem sei jedoch weit davon entfernt Arbeit, die Außerhalb der Lohnarbeit stattfindet, miteinzubeziehen.
Würde in einem neuen Gesellschaftsvertrag ein Wertewandel vollzogen, dann folge darauf eine neue Gestaltung der Produktion. In einer befreiten Gesellschaft ginge es um die Produktion des Gemeinsamen, welches nicht nur die materielle Produktion meint, sondern auch das „produzieren“ beziehungsweise pflegen von zwischenmenschlichen Beziehungen in der Familie, im Freundeskreis und auch unter den Beschäftigten selber. Es brauche ein Modell in dem es sich lohne, die Zeit dafür zu nutzen, anderen zu helfen und sich gegenseitig zu schonen und freizusprechen, so Hirsch. Er selbst stellt klar, dass es sich nicht lohne auf solch einen Gesellschaftsvertrag oder die Veränderung im Rentensystem zu warten, sondern dass wir, sprich jedes einzelne Individuum der Gesellschaft, die abstrakte Vorstellung einer befreiten Gesellschaft in seinen alttäglichen Handlungen üben müsse. Es ginge um das Erfahren der Politisierung des eigenen Lebens. Menschen, die nicht mehr bereit sind. eine 40-Stunden-Woche auf sich zu nehmen, Männer, die in der Karriere kürzer treten um die Kindererziehung mitzugestalten, zeigen, dass es dieses richtige Leben im Falschen bereits gäbe, es aber im Unsichtbaren liege. Er appelliert abschließend an die intellektuelle und akademische Elite, die beginnen, soll Konsequenzen aus ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ziehen. „Wir haben vom Baum des Wissens gekostet, aber nicht vom Baum des Lebens.“
:Meike Vitzthum
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