Premiere. Milo Rau und Ensemble widmen sich Aischylos und der Orestie. Das antike Werk erstrahlt in dreisprachiger Fassung und regt nach wie vor zu neuen Fragen an. Eine Mischung aus Nachkriegsdokumentation und Hochspannungstheater.
Dass das Werk von Aischylos und insbesondere die Orestie für viele Theatermacher*innen, Darsteller*innen und Enthusiast*innen, ein früher Berührungspunkt mit den antiken Anfängen von Justiz, Demokratie und vorallem Dramatik ist, bewieß vergangenen Freitag schon der Eröffnungsmonolog von Johan Leysen, mit dem er die erste Aufführung von „Orest in Mossul“ in den Kammerspielen des Schauspielhaus Bochum einleitete. In direkten Worten an das Publikum erzählte er, dass seine erste Rolle im Theater, die des Wächters aus der Orestie war. Hier ist er Agamemnon, ein Mann der aus dem Krieg zurückkehrt.
In wenigen Schlagworten zusammengefasst geht es um Mord, Schmerz, Rache und wieder Mord. Seinen Ursprung hat die Orestie dabei 458 v. Chr., seine Thematik beinhaltet jedoch nach wie vor eine Verkettung von nahezu unvorstellbaren Verbrechen, die uns auch heute noch erstarren lassen. Und doch, ist die Dichtung der Orestie, bei all der Gewalt und den Toden, auch eine Geschichte der Vergebung.
„Leide und Lerne“
Wie übertragbar die Worte von Aischylos in unsere heutige Zeit sind, zeigen und prüfen Regisseur Milo Rau und sein Ensemble, dass sich aus Schauspieler*innen, Musiker*innen und Darsteller*innen aus dem niederländischen Belgien, Estland und dem Irak zusammensetzt. Dafür haben sie das Szenario des aus dem trojanischen Krieg Wiederkehrenden Agamemnon, in eine vom Krieg und der Besetzung unter dem sogenannten Islamischen Staat zerstörte und traumatisierte Stadt im Nordirak verlegt: Mossul. Hier sind auch die Vorbereitungen sowie vorab gefilmte Teile entstanden, die während der Aufführung auf einer Leinwand abgespielt und mit dem Narrativ auf der Bühne verknüpft wurden.
Generell wirkt die Inszenierung von Milo Rau oft wie eine Verknüpfung von Making Of, Textvorlage und Verarbeitung von sowohl Geschehnissen, die den Mitwirkenden widerfahren sind, als auch Erfahrungen die sie innerhalb der von ihnen gespielten Rollen und Szenen gemacht haben.
Tod und Vergebung
Die Musiker*innen und Darsteller*innen aus Mossul wirken so, als wäre Galgenhumor für sie, ein nicht abschaltbares Ventil. Als unter der IS-Terrorherrschaft Dinge wie Musik und Fotografie mit dem Tod hätten bestraft werden können, ließen sie sich dennoch nicht abbringen, heimlich im Keller zu Proben, oder mit Teleobjektiven aus der Ferne zu fotografieren. Auch als nach der Befreiung der Stadt die Kunstakademie wieder aufgebaut wurde, waren sie dabei. Wenn auch in der Dichtung der Orestie unklar ist, wer der Held ist, so ist hier klar, dass die Held*innen, vorallem die Menschen darum sind.
Der Ausgang der Orestie gilt als literarischer Kernmoment der Demokratie. Ein Tribunal entscheidet über das Schicksal des Orest und begnadigt ihn. Kurz vor Ende des Stückes werden die Mitwirkenden aus Mossul um ehrliche Antwort gebeten, wie sich sich entscheiden würden, wie man IS-Kriegern demokratisch gegenüber treten sollte. Rache oder Vergebung? Todesstrafe oder
Begnadigung?
:Christian Feras Kaddoura
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