Zwischen Raum und Zeit

Auf der Grundlage eines digitalen Projekts entwickelt das Netzwerk RuhrKunstMuseen(RKM) eine Ausstellung mit vielfältigen thematischen Schwerpunkten und vereint sie in „21×21“ zu einerfaszinierenden Symbiose. Die Exponate könnt Ihr in der malerischen Kulisse einer alten Essener Villa bestaunen.

Ich starre den rußigen Glaskasten vor mir an. In seinem Inneren befindet sich ein kleiner Haufen schwarzes Pulver. Dann huscht mein Blick nach rechts. Neben dieser Installation steht auf einem kleinen Regal ein gläserner Behälter, in dem sich kleine Kohlestücke befinden und das Licht der vielen Lampen über meinem Kopf prismatisch reflektieren. Mit dem kleinen Kärtchen zwischen meinen Fingern fächere ich mir Luft zu. Es trägt die Beschriftung  „18 C – Die Essenz der Kohle“ und gibt einen Duft ab, den ich zuvor noch nie gerochen habe, der mir aber gleichzeitig unaufhaltsam ein Bild vor Augen malt. Eine längst vergangene Epoche, Arbeiter beim Kohleabbau, schmale Tunnel und niedrige Decken, die nur bedingt mit Licht ausgestattet sind – eben das, wofür das Ruhrgebiet lange Zeit bekannt war. Das Kunstwerk stammt von Helga Griffiths und steht im Raum sechs „Lebenszeichen“ der Villa Hügel in Essen. Insgesamt stellt das prächtige Anwesen der Familie Krupp, welches heutzutage ein Ausstellungsort ist, in zehn Räumen über 100 Kunstwerke aus 21 Museen des Ruhrgebiets aus – darunter auch die Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum.

Bei Raum sechs handelt es sich um eine ganze Raumkette, die durch die ausgestellten Kunstwerke das Leben in seinen unterschiedlichen Ausprägungen festhält. Eine Abfolge von Aufnahmen eines laufenden Fernsehers, auf dessen Oberfläche immer wieder andere Gegenstände drapiert sind, zieht sich durch die Durchgänge. In einer Ecke steht ein alter Fernseher auf einem Runden Holztisch. Mein Blick bleibt an dem Ausstellungsstück hängen und stimmt mich nachdenklich. Aus dem Fernseher ragen lange Nägel aus Stahl, als hätte der Fernseher versehentlich einen Kaktus berührt. Auf einer Seite wurde er mit weißer Farbe übergossen, die sich in die Zwischenräume frisst. Aus dem Begleitheft erfahre ich, dass das Werk von Günther Uecker namens „TV“ eine kritische Anspielung auf die Massen- und Unterhaltungsmedien sein soll.
 Ich setzte zum Gehen an und meine Augen wandern zum Begleitheft in meinen Händen. Der nächste Raum trägt die Überschrift „Fenster zur Welt“ und soll einen Einblick in die Wahrnehmung der Welt von gestern, heute und auch morgen geben. An den Wänden hängen Gemälde und Aufnahmen. Eine Konstruktion aus Leuchtstoffröhren von Molitor & Kuzmin trägt den einfachen Titel „Fenster“ und stammt der Beschilderung nach ursprünglich aus dem Zentrum für internationale Lichtkunst Unna. Die ruhige Luft wird von den Geräuschen eines Schwarz-Weiß-Films unterbrochen, der unterschiedliche Aufnahmen von Menschen und Orten zeigt und dabei mit Licht und Schatten spielt. Licht soll hier „als bedeutungstragendes Motiv, das Räume, Strukturen und Emotionen formt“, eingesetzt werden, verrät mir das Heftchen.
 Raum acht strahlt in einem hellen Farbton und versetzt mich ins Staunen. Ich bleibe stehen, um die Umgebung auf mich wirken zu lassen. An den Wänden befinden sich Spiegel und Stuckaturen, die Decke ist mit goldenen Schnörkeln verziert auf denen weiße Engel sitzen. Die Vorstellung des Himmels ist hier stimmungsgebend. Wie passend, dass der Raum den Titel „Atmosphäre“ trägt. Von der Decke hängt ein großes weißes Konstrukt, das augenscheinlich aus den Scheiben verschiedener Baumstämme zusammengesetzt und als schwebende und sich langsam drehende Wolke inszeniert ist. Es heißt „Konturenwolke“ und wurde von Ulrich Möckels geschaffen. Ich erfahre, dass es sich bei den Holzscheiben eigentlich um Konturen aus Hartschaum handelt, die durch die Imitation diverser heimischer Baumarten Himmel und Erde verbinden sollen.

Ich wandere durch die letzten beiden Räume – „Dynamik“ und „Tradition im Wandel“ – und nutze auf dem Rückweg die Gelegenheit, nochmal alle Räume zu passieren. Einige davon ziehen erneut meine Aufmerksamkeit auf sich.

So zum Beispiel Raum drei, „Kauflust“, welcher sich mit der Entwicklung des Konsums und des Kaufverhaltens in unterschiedlichen Epochen beschäftigt, besonders zu Zeiten der DDR. Ich bestaune die verschiedenen Fotografien, Zeichnungen und Gemälde, die teilweise über 100 Jahre alt sind. Auch in Raum eins bleibe ich stehen und blicke mich um. Im Zentrum steht hier das „Bild der Frau“ und neben Skulpturen finden sich hier auch bildliche Darstellungen von Müttern mit ihren Töchtern von den Künstler:innen Gerhard Richter und Paula Modersohn-Becker. In einem weiteren Raum sind auf dem Boden bunte Kleidungsstücke ausgebreitet. Bei näherem Hinsehen stelle ich fest, dass es sich dabei um Flusen aus dem Trockner handelt, die in die Form Hosen und Oberteilen gebracht wurden. Das Schild an der Wand verrät mir, dass es ein Werk aus den Kunstsammlungen der RUB ist, das 1989 von Ingeborg Lüscher erstellt wurde.

Ich verlasse die Ausstellung mit einem positiven Gefühl und bin beeindruckt von der Kreativität und Aussagekraft, die hinter den Ausstellungsstücken steckt. Im Gedächtnis bleibt mir ich auch die Wahl ihrer Positionen sowie die Einrichtung der Werke in thematisch bestimmten Räumen erhalten. Die Ausstellung „21×21“ besteht vom 11. April bis zum 27. Juli und kostet ermäßigt fünf Euro pro Person und biete auch Führungen an. Neben der Ausstellung könnt Ihr auch der Villa selbst – wobei sie weniger einer Villa und viel mehr einem Schloss gleicht – einen Besuch abstatten, in der ihr einen Einblick in das Leben im 19. Und 20. Jahrhundert bekommt. Wenn Ihr lieber an die frische Luft wollt, bietet der „Hügelpark“ mit seinen langen Pfaden und der blühenden Natur einen guten Anlaufpunkt.

:Alina Nougmanov

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