Hamed Abdel-Samad – vielleicht sagt Euch allein der Name des Autors etwas. Immerhin ist dieser Mann seit den frühen 2010ern immer wieder mit seiner Islamkritik in den Medien, zur letzten Bundestagswahl führte er auch Interviews mit Sahra Wagenknecht. Ob seine Bücher das Geld und die Zeit wert sind? Ein Review.

Das Buch „Islam – eine kritische Geschichte“ erschien 2023 zu mäßiger Medienaufmerksamkeit. Von einigen Stellen wurde und wird es als wichtiges Buch über den Islam gepriesen, von Seiten anderer wird es als Hetze bezeichnet. Ich wusste davon aber gar nichts. Wohlwollend ging ich an dieses Buch, unwissend der Kontroversen des Autors.

Da kam schon der erste Schock: Das Buch öffnet mit einem Vorwort, in welchem der Autor postuliert, die links-woke Identitätspolitik seie Schuld am Erstarken des rechten Randes. Er lenkt ein wenig ein und konkludiert halbherzig am Ende, dass Rechte ebenso Identitätspolitik betreiben. Bisschen komisch, aber whatever. Vor allem deshalb, da dieser Abdel-Samad seit 2013 dafür einsteht, dass Parteien wie die AfD mediales Spotlight bekommen. Er selbst sprach auf Konferenzen der AfD. Aber nun gut, Feindbild etabliert!

Und dann kommt schon die nächste Ohrfeige: Das Buch hat noch eine Einführung. In dieser redet Abdel-Samad davon, wie kriegerisch der Islam seit seinen Anfängen sei und stellt zehn Hypothesen auf, die er im Laufe dieses Buches beweisen möchte. Diese zehn Hypothesen sind gezielt provokativ und negativ formuliert; so sollen kriegerische Auseinandersetzungen der frühen Muslime für den noch immer andauernden Kampf gegen den Westen stehen und die Einführung von Philosophie diese kriegerische Gruppe „zivilisiert“ haben. Abseits dieser, auf gut Deutsch gesagt, ziemlich steilen Thesen, wird hier Terminologie benutzt, die in der Forschung generell abgelehnt wird. Das führt mich zu einem weiteren Kritikpunkt: Der Autor dieses Buches ist kein Historiker. Er ist Politologe und Anglizist. Keineswegs spreche ich ihm hiermit ab, dieses Buch schreiben zu dürfen. Es ist dennoch fragwürdig, wenn sich ein Mensch mit starken politischen Meinungen mit einem Buch über Geschichte an die breite Gesellschaft wendet, die es nicht besser weiß. Insbesondere, wenn er seine Meinungen durch diese von ihm selbst erzählte Geschichte validiert.

Hierher stammt auch das nächste Problem. Hoffnungsvoll sagte ich mir, die Präsentation des Buchs könne komisch sein, aber die Fakten in ihm sollten trotzdem stimmen. Diese Hoffnung fand im zweiten Kapitel jäh ihr Ende. Das zweite Kapitel behandelt die Auswanderung des Propheten Mohameds nach Medina, ein für den Islam besonders wichtiger Zeitpunkt. Hier behauptet Abdel-Samad undifferenziert, dass bestimmte Regeln des Islams aus Willkür Mohameds heraus eingeführt wurden. So solle das tägliche Beten ein Test gewesen sein, wie gläubig und loyal seine Gefolgsleute waren. Abseits der fehlenden Nachweisbarkeit solcher Aussagen erzählt er ohne zusätzliche Erklärung davon, dass Kriegern 72 schöne Jungfrauen im Paradies versprochen wurden. Eine Aussage, die so nicht aus dem Koran stammt und spätestens seit 9/11 höchst kontrovers und politisiert ist. Die Sure „die Frauen“ wird böswillig als Züchtigungshandbuch für die unterlegenen Frauen dargestellt, ohne auf den tatsächlichen Inhalt, die gelebte Realität zu der Zeit oder auf vor-islamische Zustände für Frauen einzugehen.

Das Buch schließt hoffnungsvoll ab, und dennoch kann ich es nicht in mein Herz schließen. Die Anmerkungen, dass die meisten Muslime ja friedliebend seien, verblasst nach 200 Seiten an Erklärungen zu der Grausamkeit des Islams. Islamwissenschaftler:innen werden auf die gleiche Stufe gestellt mit islamischen Theolog:innen, der Verkauf von halal Lebensmitteln wird als politisches Druckmittel stilisiert und Muslime werden von Abdel-Samad nur als europäisch und friedliebend gesehen, wenn sie viele der zentralen Aspekte des Islams hinter sich lassen.

Ich verstehe die Wut des Autors. Abdel-Samad hat einen schweren Lebensweg hinter sich und lebt wegen seiner Meinungen unter Polizeischutz. Er war als Jugendlicher selber islamistischer Extremist und Mitglied der Muslimischen Bruderschaft. Ich komme da um eine bestimmte Annahme nicht drum herum: Wenn er selbst schon in die Tiefen des Islams geblickt hat, wieso sollten andere es nicht auch? Wenn er selbst radikalisiert wurde, sieht er andere Muslime doch ebenso als potentielle Radikale? Es scheint, als hätte er über-korrigiert. Anstelle ein gemäßigter Muslim oder Atheist zu werden, baut er seine mediale Identität auf seiner Islamkritik auf. Seine Meinungen wurden seit 2013 zunehmend rechter und radikaler und so auch die Reaktionen weltweiter Muslime und Islamisten. Vielleicht ist das eine anmaßende Aussage, aber ich denke, eine gute Psychotherapie hätte ihm mehr geholfen, als die Autorschaft an diesem Buch. Schließlich sieht es Islamophobie nicht als echtes Problem an, sondern als Waffe gegen Islamkritiker:innen wie ihn. Meine Empfehlung: Lasst die Finger von Abdel-Samad und lest was von Benjamin Idriz oder Gudrun Krämer.

:Halima Okanović

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