Kalt hier. Das sind meine Gedanken, als ich am Montagabend vor dem ID stehe. 15 Minuten, dann geht es los, Zeit für eine letzte Zigarette. Während ich da so stehe, denke ich nach. Eigentlich weiß ich kaum etwas über Südafrika. Klar, ich weiß, wo es liegt und auch sagt mir der Begriffe Apartheid etwas, aber sonst kenne ich eigentlich nur die Geschichte von Nelson Mandela und die von seinem Kampf gegen dieses System der Rassentrennung. Als Student im Fach Geschichte ist mir dies fast etwas unangenehm. Aber dafür bin ich ja hier. Ich will lernen, nicht nur über die Geschichte an sich, sondern auch über die Menschen und die Politik, welche sie geprägt haben. Also drücke ich meine Zigarette aus und begebe mich in den Hörsaal.


Ich bin erstmal von der Größe des Hörsaals überrascht. Ich habe nicht viele Veranstaltungen in welchen und wenn, dann in definitiv kleineren. Es sind schon ca. 30 Menschen da und ein paar weitere trudeln auch noch nach mir ein. Ich setze mich an den Rand und öffne meine Notizapp. Vorne steht schon Taban, sie ist Organisatorin von den A Day in History-Veranstaltungen und Mitglied im Referat für politische Bildung. Ich schaue mich etwas um und es freut mich zu sehen, dass trotz des kalten Wetters und der Uhrzeit so viele gekommen sind. Politische- und geschichtliche Bildung sind wichtig, deswegen bin ich hier und deswegen wollte ich auch schon lange Journalismus machen.


Die Geschichte der Apartheid
Dann geht es auch schon los. Es ist 18.15 Uhr und Taban geht an das Pult im Hörsaal, begrüßt alle Anwesenden und stellt die beiden Redner:innen vor. Prof. Dr. Christoph Marx, Historiker für Kolonialgeschichte und südafrikanische Zeitgeschichte und Sheila Gordon-Schröder, Linguistin, Autorin und ehemalige Bürgerrechts Aktivistin. Zunächst kommt Prof. Marx ans Pult und bedankt sich für die Einladung. Er beginnt daraufhin mit dem Einstig ins Thema, die Geschichte Südafrikas und die Geschichte hinter der Einführung des Apartheid Systems. Auch wenn ich mich auf das Thema eingestellt habe und mir bewusst ist, wie grausam und schrecklich die Apartheid war, war ich nicht darauf vorbereitet, so schockiert zu werden. Die Geschichte der Apartheid ist nicht nur eine von Ausgrenzung, sondern auch von totalitären Maßnahmen und systematischer Unterdrückung jedes Wiederstandes gegen das System.
Eine Zeitzeugin berichtet
Jedes Mal, wenn die Menschen Widerstand geleistet haben, führte dies zu einer neuen noch brutaleren Phase der Unterdrückung. So entwickelte sich Südafrika erst zu einem Polizeistaat und schließlich zu einem Land, in dem das Militär eingesetzt wurde, um den Widerstand der Bevölkerung zu brechen. Sheila Gordon-Schröder erzählte uns von ihrem Leben und ihren Erfahrungen aus dieser Zeit und wie sie dies alles damals erlebt hatte. Sie wuchs auf, als Teil der weißen Minderheit in Südafrika. Jedoch waren ihre Eltern britischer Herkunft und nicht Teil der herrschenden politischen Klasse — der Buren. Die Buren sind größtenteils Angehörige der Landbesitzer und Farmer, ihre Vorfahren stammen aus den Niederlanden und das hört man auch an der Sprache die sie sprechen. Afrikaans ist aus dem Niederländischen entstanden.


Der ANC und der Widerstand
Es ist auch eine der Sprachen, welche Sheila Gordon-Schröder gelernt hatte. Sie erzählt weiter, wie sie ihre Kindheit erlebt hatte und wie sie schon früh von ihren Eltern beigebracht bekommen hat, dass das Apartheid System nicht richtig ist. Dafür sei sie heute noch dankbar, da es schon früh ihren Gerechtigkeitssinn förderte. In der Schule lernte sie ihre Liebe für verschiedene Sprachen, ein Grund für sie aufs College zu gehen und eine lokale Sprache zu lernen. Sie lernte Zulu und einige andere der lokalen Sprachen dort. Fast alle Weißen, die dort waren, wollten entweder Missionare oder Administratoren werden. Sie sagte mit einem Lachen, dass sie wohl die einzige Weiße am College war, welche Zulu aus reinem Interesse lernte. Am College kam sie dann auch das erste Mal in Kontakt mit dem ANC (African National Congress). Zu dieser Zeit eine verbotene Organisation in Südafrika und gleichzeitig eine der einflussreichsten und größten Bürgerrechtsorganisationen. Daraufhin wurden sie und ihr damaliger Freund Mitglieder und fingen an, sich am Widerstand gegen die Apartheid zu beteiligen.


Der Kampf für die Freiheit
Sheila Gordon-Schröder redet die ganze Zeit in ihrer Muttersprache Englisch und mit einem leichten Akzent, den ich sonst nur von einigen Youtuber:innen kenne. Bei ihrer Erzählung hänge ich an jedem Wort, was sie sagt, ich vergesse vollkommen mir Notizen zu machen. Zeitzeug:innen sind für mich als angehenden Historiker etwas ganz Besonderes. Zu hören, wie jemand, der in solch einer ereignisreichen Zeit dabei war und diese so schildert, ist einfach etwas Großartiges. Doch ich werde schnell auch wieder in die Realität geholt, warum solche Zeitzeug:innen unverzichtbar für unser kollektives Erinnern sind. Sheila Gordon-Schröder erzählt gerade von ihrer Zeit nach dem College und dass sie viel gereist ist, um sich zu vernetzen. Dabei muss sie lachen; offenbar hat das Schwelgen in Erinnerungen etwas ins Gedächtnis gebracht. Doch sie entschuldigt sich dafür prompt. Sie betont, dass auch wenn sie lacht, diese Zeit nicht zum Lachen war. Daraufhin erzählt sie von einer Freundin, welche mit ihrem Baby nach Angola gereist war, um möglicher politischer Verfolgung in Südafrika zu entgehen. Auch sie war Member in der ANC und kam bei einem Anschlag ums Leben, genau wie ihr Baby. Bis heute ist nicht klar, wer den Anschlag verübt hat und wieso.


Aus der Vergangenheit lernen
Solche Geschichten lassen einen nicht kalt, ich fühle mich irgendwie hilflos. Dann kommt auch der Vortrag langsam zum Ende und die Fragerunde geht los. Das Publikum wird aktiv dazu aufgefordert mitzumachen und dies gelingt. Viele stellen Fragen, wie zum Beispiel was die Verbindungen der ANC zu der Sowjet Union waren oder auch was man für Konsequenzen aus der Geschichte ziehen kann. Auf die letzte haben beide Redner:innen eine gute Antwort: Solche totalitären Regime, die mit Unterdrückung und Ausgrenzung arbeiten, werden niemals Bestand haben, wenn die Bevölkerung sich nur genug dagegen wehrt.
Ich bin sehr nachdenklich, als ich nach draußen in die Kälte trete. Ich zünde mir eine Zigarette an und mache mich auf den Weg zum Auto. Als ich über die Veranstaltung reflektiere und überlege, was ich davon mitnehme, komme zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich die Wichtigkeit von politischem Engagement ist. Sheila Gordon-Schröder ist weiß und war damit in einer privilegierten Position in Südafrika, jedoch hat sie diese genutzt und sich für ihre Mitmenschen eingesetzt. So etwas sollte man sich als Vorbild nehmen.

:Steven Schöpper

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