Die Menschen in der Türkei wissen kaum noch, wie sie ihr Leben finanzieren können. Neben den Lebenshaltungskosten, die auf fast 80 Prozent gestiegen sind, steigen die Produzentenpreise ebenfalls an. Diese erhöhten sich auf Jahressicht um 138 Prozent. Außerdem gibt es Vorwürfe seitens der Opposition gegen die Regierung.
Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Zu den Inflationsursachen gehört, die seit längerem schwache Landeswährung Lira – diese sorgt in der Bevölkerung für Unbehagen, da importierte Güter in der Türkei versteuert werden. Ebenfalls sei es zu berücksichtigen, dass die Preise vieler Rohstoffe steigen und das vor allem wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ein Großteil der Beschäftigten in der Türkei arbeitet im Niedriglohnsektor, um genau zu sein 60 Prozent – viele von ihnen zum Mindestlohn. Zwar wurde dieser erst kürzlich auf 5500 Lira angehoben, dies entspricht circa 330 Euro monatlich, doch zugleich steigen die Preise auch überall sonst an. Nach den Berechnungen des Gewerkschaftsbundes Türk-Is benötigt man in der Türkei 6840 Lira, umgerechnet 374 Euro zum Leben. Demzufolge liegt der Mindestlohn 20 Prozent unter der „Hungergrenze“. Das Land steckt derzeit in einer wirtschaftlich schwierigen Lage und viele Ökonomen sind der Meinung, dass die türkische Notenbank sich nicht entschlossen genug gegen die Teuerung stemmt – stattdessen ist die Geldpolitik seit vergangenem Sommer gelockert worden. Um der Erhöhung der Inflation entgegenwirken zu können, ist es laut einer gängigen ökonomischen Lehre notwendig, die Zinsen zu erhöhen. Hingegen argumentiert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, dass hohe Zinsen die Inflation verursachen. Demzufolge verzichtet die Notenbank bislang auf Zinserhöhungen. Es gibt viel Aufruhr in der Bevölkerung, besonders bei jungen Erwachsenen. Viele von ihnen können sich derzeit nicht vorstellen auszuziehen, Kinder zu bekommen oder gar zu heiraten. Es scheint so, als würden viele Träume platzen. Doch viele Bürger:innen der Türkei wollen die Inflation nicht mehr hinnehmen, so auch Cihan Uyanik, der an der Technischen Universität in Istanbul Ingenieurwesen studiert. Gemeinsam mit anderen hat er die Initiative “Wir können nicht überleben“ gegründet – diese möchte als Sprachrohr für diejenigen fungieren, die in der gleichen Situation oder eher gesagt Zwickmühle stecken. Um dem Gehör zu verschaffen, protestieren sie auf den Straßen, starten Unterschriftenaktionen gegen die Mietpreispreiserhöhungen und zeigen auf, was hinter den Preiserhöhungen steckt. Trotz all dem müssen genau diese Menschen, die auf die Straße gehen, jederzeit mit Repressalien der Staatsmacht rechnen. Doch auch für Erdoğan dürften die lauten Gegenstimmen der Bürger:innen künftig zu einem brisanten politischen Problem werden und bald nicht mehr unüberhörbar sein – denn im nächsten Frühjahr sollen die Parlaments- und Präsidentenwahlen stattfinden. Laut einer Umfrage von Ende Juli liegt seine regierende Partei AKP nur noch bei 29 Prozent. Im Vergleich dazu hatte er bei der Wahl 2018 mit 43 Prozent abgeschnitten.
:Asli Baskas
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