Rammstein zeigt sich im neuen Album Zeit überraschend wenig kontrovers.
Rammstein gehört wohl zu den wenigen Bands weltweit, die mit jedem neuen Album-Release Diskussionen, auch außerhalb der Musikwelt, entfachen. Nicht verwunderlich, denn Rammstein provoziert diese Kontroversen ganz kalkuliert. Einigen stößt es sicherlich noch sauer auf, wenn sie an das Jahr 2019 erinnern, in dem ein Songtext der Band noch „Deutschland, Deutschland über allen” lautete, während die Bandmitglieder als KZ-Gefangene inszeniert im Musikvideo auftraten. Die Masche rund um das kontroverse Auftreten der Band funktioniert, ist Rammstein doch wei-terhin eine der wenigen deutschen Bands, die enormen internationalen Erfolg feiern. Umso überraschender ist es, dass Zeit wenig Kontroverse bietet und an eine musikalisch poetische Seite von Rammstein erinnert, die oft von all dem überschattet wird. Überraschend war auch, dass das neue Album bereits drei Jahre nach dem letzten Release erscheint, denn das vorletzte Album erschien ganze zehn Jahre nach Liebe ist für alle da. Musikalisch zeigt Zeit viele Facetten der Band. Mit den Balladen Armee der Tristen und Zeit wird uns nachdenklich und melancholisch die menschliche Vergänglichkeit vorgeführt. Schneller und mit den für Rammstein typischen Synthesizer-Keyboard-Klängen, die von harten Gitarrenriffs und dem fetzigen Schlagzeug begleitet werden, nimmt das Album dann in Giftig Fahrt auf, indem auch der Refrain zum Mitsingen anregt. Auch wenn es auf Zeit vergleichsmäßig zahm zugeht, rechnet die Band wie gewohnt mit gesellschaftskritischen Themen ab. Zick-Zack macht sich fast schon lustig über den Wahn der Schönheitschirurgie, die den wahren Charakter der Menschen jedoch nicht zu verbergen mag. Besonders viel Raum für Interpretation bietet der Song Meine Tränen in der die Band die toxische Maskulinität aufgreift und damit am Puls der Zeit ihren musikalischen Beitrag zum Diskurs der Genderidentifizierung beiträgt. Auch ein Seitenhieb an die Musikindustrie bleibt nicht aus. In Lügen stichelt die Band gegen gängige Praktiken der Industrie wie den Auto-Tune. Witzig dabei, dass man hier Frontmann Till Lindemann in vollem
Auto-Tune zu hören bekommt. Auf zwei Songs, auf deinen es um Geschlechtsverkehr ohne Kondom und „dicken Titten” geht, zeigt sich die Band auch von einer gewohnt schlüpfrigen Seite und lässt die Sau raus. Das Album findet dann mit der Ballade Adieu einen passenden Abschluss des Ganzen. Insgesamt ist Zeit ein sehr abwechslungsreiches Album, dass sich von den Kontroversen des letzten Albums entfernt und dabei eine musikalisch hochwertige Seite von Rammstein zeigt, die beweist, dass die Band deutlich mehr kann als nur zu provozieren.
:Artur Airich
0 comments