Nachdem sie lange als Musik für die Hinterwäldler der USA galt, mit allen dazugehörigen Erwartungen von Sexismus, Rassismus und Homophobie, gibt es eine immer größere Welle neuer, modernen Country-Musik die sich dagegen stellt.
Country-Musik hat eine komplizierte Geschichte, und hatte lange einen schlechten Ruf, der sich- wenn überhaupt- nur langsam bessert. Die Wurzeln des Genres finden sich im Süden und Südwesten der Vereinigten Staaten, wo es in einer Kombination aus der Volksmusik der Siedler, Blues und mexikanischer Musik in den 1920ern seinen Ursprung fand. Nostalgie und Romantik, das Cowboy-Leben und der Westen, harte Arbeit, Armut – all das sind Themen über die immer wieder gesungen wird. Für den Großteil der Geschichte des Genres geschah das jedoch aus einer beinahe ausschließlich weißen Perspektive, für ein beinahe ausschließlich weißes Publikum. Und das ist kein Zufall: Produzent und Talent-Scout Ralph Peer wird als Vater der Country-Musik bezeichnet und hat stark geprägt, was heute darunter verstanden wird. Dazu gehört auch, dass er das Genre als Musik von und für ***weiße***, im Gegensatz zum Blues, vermarktete. Der Mythos des hart-arbeitenden ***weißen*** Mannes, der mit Gitarre in der Hand von seinem Alltag singt, ist geblieben. Musiker wie Kid Rock aus Michigan im Nordosten der USA, Sohn eines wohlhabenden Autohändlers, schlüpfen gern in diese Rolle, denn sie verkauft sich gut, egal wie viel Realität dahintersteckt. Der Ruf als Musik für die Hinterwäldler – die Rednecks, die Hillbillys – ist fest verankert. Es wird also nicht nur Zeit, zurückzuschauen zu den Anfängen, und zu sehen, dass Schwarze Musiker*innen essenziell für die Entstehung des Genres waren, sondern auch in der aktuellen Musiklandschaft diejenigen zu finden, die sich diesem Ruf entgegenstellen. Und Beispiele gibt es zu genüge.
Lil Nas X ist längst ein Weltstar. Sein Debütalbum Montero ist der perfekte Beweis, dass er kein One-Hit-Wonder ist. Kaum jemand erinnert sich nicht daran, wie Old Town Road 2019 in den verschiedensten Versionen Woche für Woche die Charts beherrschte. Mit einem Remix mit Country-Star Billy Ray Cyrus, öffentlichen Auftritte in Cowboyhut und Stiefeln und klaren musikalischen Einflüssen stellte Lil Nas X das Genre auf den Kopf. Kurz darauf kam sein Coming-Out und setze allem die Krone auf. Musikalisch hat er Country-Einflüssen mittlerweile wohl den Rücken zugekehrt, wie sein erstes Album zeigt. Bedeutend bleibt er weiterhin, denn er hat in vielerlei Hinsicht gezeigt, was möglich sein kann. Er ist jedoch bei weitem auch nicht das einzige spannende Gesicht im modernen Country – ein weiteres blieb jedoch bisher unter einer Maske versteckt.
Mit dem Release seines zweiten Albums, Bronco, hat der Cowboy mit der mysteriösen Identität Orville Peck gezeigt, dass auch eine genuine, ehrliche Herangehensweise an Country-Musik funktioniert. Wo Lil Nas X spielerisch und ironisch auftrat, ist Orville Peck emotional, verletzlich und melancholisch. Auch visuell fällt er auf: Sein Gesicht immer von einer Maske verdeckt, oft mit langen Fransen, sieht man ihn bei Auftritten, in Interviews und Musikvideos in ausgefallenen, farbenfrohen Outfits. Für ihn sind das jedoch keine Kostüme, sondern ein Ausdruck seines inneren Selbst; etwas was er in einem Gespräch mit der Drag Queen Monique Heart mit deren Metier, dem Drag, verglich. Musikerinnen wie Yola und Rhiannon Giddens sind wichtige und innovative Stimmen, die eine multikulturelle und ethnisch diverse Realität abbilden, statt dem Konstrukt einer weißen USA, die so eng mit dem Ursprung des Genres verknüpft ist. Auch der achtfache Grammy-Preisträger Chris Stapleton, der in vielerlei Hinsicht ein traditionelleres Bild von Country repräsentiert machte vor einigen Jahren im Bezug auf den Tod von George Floyd und die darauffolgenden Proteste klar: Die Nation, in der er und viele andere dachten zu leben, existiert nicht. Sie sei nur ein Mythos, und er und viele andere hätten noch viel zu tun und viel zuzuhören.
:Jan-Krischan Spohr
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