Kommentar. Im Folgenden ist das Protokoll einer Leidensgeschichte aus einem Studierendenleben in der Klausurenphase abgedruckt. Es soll nicht demotivierend sein, sondern im Gegenteil, helfen, die harte Realität mit Humor zu nehmen. Es bleibt einem eh nichts übrig.
Eine Ausnahmesituation. Angespannt und konzentriert hast du die letzten Stunden in genau der gleichen wirbelsäulenmarternden Position verbracht, den Kopf gebeugt, die Augen starr auf den Tisch gerichtet. Die Luft ist stickig, die Heizung rauscht und das Papier raschelt unter dem Druck des Kugelschreibers. Seit Tagen hast du kein Sonnenlicht mehr gesehen, deine Vitamin D-Reserven gehen zur Neige, aber was sollst du machen: in drei Tagen schreibst du die Klausur und deinen Berechnungen nach kannst du dir keine Pause mehr leisten, um den Lernstoff des Semesters noch rechtzeitig nachzuholen. Also muss man irgendwo Abstriche machen.
Du hältst inne und schüttelst deine Hand, um den Muskelkater zu verscheuchen, der sich durch das viele Schreiben hartnäckig festgesetzt hat. Apropos Muskelkater. Sport hast du auch schon lange nicht mehr gemacht. Natürlich bist du Mitglied in einem Fitnessstudio, so wie alle anderen auch, aber wirklich genutzt hast du dieses Privileg nur wenig. Es wäre doch wirklich Zeit, endlich einmal anzufangen. Vielleicht hast du dann bis zum Sommer den Körper, den du schon immer haben wolltest, und du müsstest bei deinen Instagram-Fotos nicht mehr durch geschicktes Posen die Traumfigur simulieren. Apropos Körper. Beim Arzt warst du auch schon lange nicht mehr. Dabei wäre es wirklich dringend nötig. Seit dem kleinen technischen Problem mit dem Mikrofon im Hörsaal bekommst du regelmäßig Tinnitus, wenn du die Professorin auch nur darauf zuschreiten siehst. Und du bist dir auch nicht hundert Prozent sicher, ob du dir damals, als du über eine der losen Platten kurz vor der Brücke gestolpert bist, den Knöchel nur umgeknickt hast oder ob doch irgendwas angerissen ist. Eine mitstudierende Person hatte dann noch einen Witz über Plattenverschiebung gemacht. Wirklich überaus geistreich. Apropos Mitstudierende. Alle anderen haben die Klausur natürlich schon längst bestanden und außer einem aufmunternden „Du schaffst das schon, wenn du es einmal verstanden hast, ist es gar nicht so schwer“ kannst du dir von ihnen nichts erhoffen. Einige schreiben sogar schon bald ihre Bachelorarbeit. Ach, die Bachelorarbeit. Wie sollst du da jemals hinkommen? Der Weg ist weit und voller Abgründe. Und dann, wie sollst du ein Thema finden? Und dann? Was dann? Stress.
All diese Gedanken schwirren dir im Kopf herum und dein Tinnitus kehrt zurück. Und jetzt fallen dir auf einmal noch die ganzen anderen Sachen ein, die du ganz dringend erledigen musst. Wäsche waschen, einkaufen, der Cousine zum Geburtstag gratulieren. Stress. Du musst diesem Teufelskreis entrinnen.
Und da siehst du den rettenden Halt, direkt vor dir. Schwarze Buchstaben auf weißem Papier. Das altbekannte Thema winkt dir gelassen zu, es wartet auf dich. Du weißt, was du tun musst, es ist ganz einfach. Nimm den Kugelschreiber wieder zur Hand und lasse die Worte aufs Papier fließen. Die Fachbegriffe hast du schon mal gehört und nach dem zehnten Niederschreiben prägt sich doch mal was ein. Vergiss die Wäsche, den Knöchel und das Fitnessstudio. Alles, was du brauchst, ist die Kraft deiner Hand, das Kunstlicht der Zimmerlampe und die Standfestigkeit des Tisches. Also schweigt, Gedanken – es herrsche die Konzentration.
:Alissa Wolters
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