Dank eines Fernsehfilms und einer österreichischen Boulevard-Journalistin wurde es auf Twitter mal wieder haarsträubend. Kleine schnell gepostete Aussagen können von jetzt auf gleich große individuelle Konsequenzen nach sich ziehen. Doch warum ging es in diesem Fall so schnell?
Die österreichische Journalistin Anna Dobler wurde als stellvertretende Chefredakteurin der Online-Boulevardseite Exxpress gefeuert. Sie hatte sich dazu bemüßigt gefühlt, den Fernsehfilm zur Wannseekonferenz, der kürzlich im ZDF und ORF ausgestrahlt wurde, wie folgt auf Twitter zu kommentieren: „Das waren nicht nur Mörder, sondern auch durch und durch Sozialisten“, um die Nazis zu beschreiben, die im Film bei der Planung des Holocausts dargestellt wurden. Dadurch wurde nicht nur, wie schon des Öfteren, eine hitzige Diskussion zwischen linken und rechten Twitter-User:innen darüber geführt, auf den Schultern welcher Seite denn nun die Schuld an den Verbrechen der Nazis lastet, sondern es folgten auch prompt reale Konsequenzen für Dobler.
Denn Eva Schütz, Herausgeberin, und Richard Schmitt, Chefredakteur des Exxpress, posteten ebenfalls auf Twitter wenig später eine Stellungnahme, in der es heißt: „Nein, die Nationalsozialisten, die den Holocaust planten und ausführten, waren keine „Sozialisten“, wie Anna Dobler dies in ihrem Posting nachweislich falsch behauptet hat.“ Man wolle nicht, dass die Redaktion mit dem Verdacht einer möglichen Relativierung des Nationalsozialismus belastet werde. Ein Tweet eines Mitarbeiters könne auch nicht rein privat ausgelegt werden,weshalb sich der eXXpress hiermit von Anna Dobler trenne. Nun hat die Leitung des Mediums versucht, ihren ohnehin schon sehr fraglichen Ruf zu schützen. Chefredakteur Schmitt hatte sich früher noch nie besonders an rechten Äußerungen gestört, als er noch für die berüchtigte Kronen Zeitung tätig war, wo er dem mittlerweile berühmten damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nahestand. Strache machte mit dem Video aus der Ibiza-Affäre unfreiwillig auf sich aufmerksam, in dem er auch indirekt Schmitt erwähnte, der daraufhin bei der Zeitung rausflog.
Dobler hatte ihren Streit-Tweet recht schnell wieder gelöscht mit der Einsicht, dass die Wahrheit ihrer Behauptung umstritten sei, verwies aber dabei auch auf angebliche Belege für sozialistische Tendenzen innerhalb des Nationalsozialismus und hängte noch ein „Lernt ihr erst mal Geschichte“ an. Nahe lag natürlich auch ihr Versuch, sich als Opfer der Cancel-Culture zu inszenieren, denn es kamen, selbstverständlich unangebrachte, Morddrohungen von Menschen, die sich selbst wohl als links verstehen, wie Dobler auf ihrem Account mit Screenshots zeigte. Dabei eilten ihr sogleich Rechte wie Jan Fleischhauer zu Hilfe, die einen Online-Mob mit Fackel und Mistgabel sehen wollten
Aber was haben denn eigentlich die sogenannten Nationalsozialist:innen mit den Sozialist:innen gemeinsam? Zunächst trennt die beiden Seiten das rassistische Denken, das dem linken Gleichheitsideal völlig fern liegt. Zudem waren die Nazis durchaus wirtschaftsliberal, mussten jedoch hart um die Stimmen der KPD und SPD-Wähler:innen kämpfen, die noch 1932 zusammen die Stimmen der NSDAP deutlich übertrafen, weshalb es zu diesem Zweck einen innerparteilichen Flügel gab, der antikapitalistisch schien, dessen Leitfigur Hitler allerdings schon 1934 liquidieren ließ. Dass Hitler den prorevolutionären Arbeitern nahe sein wollte, um mit ihren Stimmen gegen die Selbigen Politik machen zu können, führt leicht zu Verwechslungen. Doch deshalb dem Sozialismus den Holocaust in die Schuhe zu schieben, ist nicht nur dumm, sondern auch durchaus geschichtsrevisionistisch.
:Henry Klur
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