Repression. Einem Bochumer droht in der Türkei jahrelange Haft wegen „Terrorpropaganda“. Der Fall verweist auch auf die Widersprüche deutscher Politik.
Bereits Ende Juli wurde Mahmut Güneş bei der Einreise in die Türkei am Flughafen in der zentralanatolischen Metropole Kayseri verhaftet. Der 46-jährige Bochumer mit kurdischen Wurzeln hatte in der Osttürkei Verwandte besuchen wollen. Zum Verhängnis wurden dem Familienvater und Gastronomen mehrere Posts mit seinem privaten Twitter-Profil, wobei es sich bei vielen davon laut seiner Anwältin um Retweets von kurdischen Journalist:innen gehandelt haben soll, und nicht um Texte von Güneş selbst. In diesen Beiträgen sei die Politik der türkischen Regierung kritisiert worden und insbesondere Stellung gegen den 2019 erfolgten Einmarsch und die seither anhaltende Besatzung in Teilen von Nordsyrien durch die Türkei bezogen worden. Dort leben mehrheitlich Kurd:innen und das Gebiet wird weitgehend von einem Militärbündnis unter Führung der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrolliert. Die türkische Staatsanwaltschaft warf Güneş daraufhin vor, für die in der Türkei verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK) Propaganda betrieben zu haben und das zuständige Gericht in Kırşehir verurteilte ihn vergangene Woche wegen „Propaganda für eine Terrororganisation“ zu drei Jahren Haft. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig und die Verteidigung kündigte bereits Berufung an.
Güneş ist deutscher Staatsbürger, daher üben seine Festnahme und die Inhaftierung auch Druck auf die deutsche Politik aus. In Bochum wurde nach seiner Verhaftung die Initiative „Freiheit für Mahmut“ ins Leben gerufen. Sie fordert von Bundes- und Landesregierung, „alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Freilassung und Heimkehr“ von Güneş zu erwirken und organisierte am Tag vor der Urteilsverkündung eine Mahnwache vor dem Bochumer Rathaus, an der 200 Menschen teilnahmen. Getragen wird die Initiative unter anderem von Migrant:innenselbstorganisationen, dem DGB und Kirchen-Verbänden. Mit dabei sind aber auch sämtliche größere Parteien von der Linken bis hin zur CDU. Das wirft allerdings einige Fragen auf, denn die PKK gilt auch in der BRD als „Terrororganisation“ und ist seit 1993 einem Betätigungsverbot unterworfen.
Seither ging die deutsche Staatsgewalt höchst repressiv gegen kurdische Aktivist:innen vor: So reicht bereits das Zeigen einer PKK-Fahne oder des Gesichts vom Partei-Vorsitzenden Öcalan, um strafrechtlich verfolgt zu werden. Zugleich wurde der NATO-Partner Türkei stets mit deutschen Waffenlieferungen in seinem Krieg gegen die PKK unterstützt. Doch in den letzten Jahren kühlte sich das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara ab, weil die AKP-Regierung einen vom Westen unabhängigeren Kurs einschlägt. Zugleich ging die NATO in Syrien ein Bündnis mit dem PYD ein. Die Lage sieht also wie folgt aus: PKK-/PYD-Kämpfer:innen gelten dem Westen als Partner:innen, solange sie sich auf syrischem Boden befinden, auf türkischem mutieren sie dagegen zu gefährlichen „Terroristen“.
In Deutschland kommt es daher zu juristischen Skurrilitäten: Wer hierzulande eine Fahne der PYD schwenkt, handelt völlig legal – außer die Polizei und das Gericht sind der Meinung, man nutze das Logo als „Ersatzsymbol“, um eigentlich Solidarität mit der PKK auszudrücken. (Siehe :bsz 1295) Sollte dieser Widerspruch SPD, CDU/CSU, FDP und Grüne in Verlegenheit bringen, verbergen sie es jedenfalls gut. Von den größeren Parteien fordert lediglich Die Linke eine Legalisierung der PKK in Deutschland.
:Leon Wystrychowski
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