Kommentar. Es bedarf einem Umdenken im Umgang mit der AfD, denn es stellt sich eine Müdigkeit ein, gegen Rechts zu argumentieren.
Erneut sickerten die Ergebnisse der Landtagswahl in Thüringen ein und erneut zeigten die Auszählungen, was eine Reihe von Umfragen bereits vermuten ließen: einen enormen Zuwachs der Wähler*innenstimmen für die AfD und derem rechtsradikalen Flügel rund um Björn Höcke. Diesmal waren es alle Altersgruppen, abgesehen von den Wähler*innen über 60, die die rechte Partei auf den zweiten Platz hievten.
Doch hier soll es nicht um die Gründe für das erneute Erstarken einer autoritären, faschistoiden, rassistischen, antisemitischen Partei im Land, dass das NS-Regime ermöglichte, gehen. Denn genau darin liegt das Problem: Das Ergründen der Ursachen, das Aufklären und Aufzeigen zeigt keine Wirkung.
Die Grenzen des Unsagbaren wurden bereits vor Jahren überschritten. Die rhetorische Verurteilung seitens vieler (aber bei weitem nicht aller) Journalist*innen und Kommentator*innen fällt daher schon lange – zurecht – alarmierend aus. Auch auf diesen Seiten sind solche Kommentare häufig zu finden. Doch es stellt sich eine Müdigkeit ein, selbst bei mir. Was bringt es, den x-ten Anti-AfD-Kommentar zu schreiben, der sich liest wie alle, die davor kamen? Es sind alle Worte gesagt. Alle Enthüllungen offenbart. Alle Kommentare geschrieben. Der Erfolg der AfD liegt darin, die Verteidigung demokratischer Grundwerte zu einer lästigen Fleißaufgabe gemacht zu haben. Die rhetorische Verurteilung ist an einem Ende angelangt. Mit dem Rücken steht man an einer Mauer dessen, was rhetorisch noch einfällt, um rechtes Gedankengut anzuprangern. Doch hinter der Mauer versetzen Rechte die Grenze immer weiter.
Möglicherweise müssen wir uns der bitteren Erkenntnis stellen: Der bürgerliche Traum der Vertreibung von Menschenfeindlichkeit durch Bildung entspricht nicht der Realität. Die Annahme, es bräuchte nur mehr Bildungsprogramme, mehr Aufklärung, mehr mediale Erbostheit, mehr glänzende, schicke Plakatkampagnen – ein Luftschloss. Wenn wir über den Atlantik schauen, sehen wir ein ähnliches Bild: Trotz etlicher Enthüllungen zur korrupten, rassistischen, Diktatoren-freundlichen und Demokratie-feindlichen Politik von US-Präsident Trump erhält dieser weiterhin Zuspruchswerte von rund 40 Prozent. Zu verdanken hat er dies einer Wähler*innen-Basis, die durch Dialog, durch Berichte, Kommentare und Artikel, die den Präsidenten auf Basis Jahrhunderte langer demokratischer Tradition und Philosophie kritisieren, nicht erreicht werden kann.
Hierzulande das Gleiche: Enthüllungen über Verflechtungen mit Burschenschaften, Identitären, Neonazi-Netzwerken, illegale Parteispenden oder einfach nur das Zitieren von Relativierungen und Verharmlosungen des Nationalsozialismus in Aussagen wie der erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad, dem Denkmal der Schande, der NS-Diktatur als Vogelschiss in der deutschen Geschichte oder der Entsorgung demokratischer Politiker*innen. Dennoch Wahlerfolge.
Trotzdem muss weitergemacht werden. Der diskursive Raum darf Rechten nicht überlassen werden und ihr Radikalismus darf nicht in die Dunkelheit geraten. Alle Worte müssen weitergesagt werden. Alle Enthüllungen weiter offenbart, alle Kommentare weitergeschrieben werden. Doch auch einem Umdenken bedarf es: Immer mehr müssen an antifaschistischen Demonstrationen und Gegendemonstrationen teilnehmen, beispielsweise in Dortmund, Herne oder Essen, um physisch ein Zeichen zu setzen und nicht nur in Buchstaben zu erscheinen. Auch die Sozialarbeit muss gestärkt werden. Und vor allem benötigt es eine Ausgrenzung von AfD-Politiker*innen aus dem gesellschaftlichen Diskurs, von Talkshows und Podiumsdiskussionen. Denn die Grenze der demokratischen Meinungstoleranz ist erreicht, wenn diese Toleranz missbraucht wird, um demokratische Verhältnisse auszuhöhlen.
Stefan Moll
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