Forschung. „Ärzte gegen Tierversuche“ kritisiert Experimente mit Ratten an der RWTH Aachen. Diese seien aus „wissenschaftlich unsinnigen“ Gründen ausgehungert worden.
Der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ gab vor einigen Tagen eine Stellungnahme heraus, in der Tierversuche an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH Aachen) kritisiert werden. Wissenschaftler*innen haben an der Universität Hungerversuche mit mehr als 200 Ratten durchgeführt, um neue Kenntnisse zur Magersucht (Anorexia Nervosa) zu erlangen. Laut des Kölner Vereins haben die Tiere so wenig Futter erhalten, dass sie nach drei Wochen nur noch die Hälfte des Gewichts ihrer normal gefütterten Artgenossen hatten. „Dabei ist es ethisch verwerflich und wissenschaftlich unsinnig, eine so komplexe Erkrankung wie die Anorexia nervosa im ‚Tiermodell‘ nachstellen zu wollen“, so der Verein. Da die hauptsächlichen Ursachen dieser Essstörung im psychologischen Bereich liegen, sei es fragwürdig, dass das künstliche Aushungern von Ratten ein geeignetes Modell sei, um das komplexe Phänomen Magersucht zu untersuchen. Stattdessen gebe es sinnvolle Untersuchungsmöglichkeiten mit bildgebenden Verfahren an Patient*innen und Forschung an modernen Zellsystemen wie „Anorexie in der Petrischale“, die relevante Erkenntnisse liefern würden. Der Funke Mediengruppe gegenüber erklärte ein Sprecher der Hochschule, dass die Versuchsreihe wichtige Erkenntnisse geliefert habe. Demnach sei erneut nachgewiesen worden, dass bei den abgemagerten Ratten-Weibchen das Gehirnvolumen um sechs bis neun Prozent reduziert worden sei, wie auch bei Magersucht-Patient*innen. Auch habe man herausgefunden, dass eine Normalisierung des Gewichts auch zu einer Normalisierung der Gehirnstruktur geführt habe. Außerdem sei bei den weiblichen Tieren der Verlust des weiblichen Hormons Östrogen beobachtet worden, der mit eingeschränkter Lernfähigkeit einhergehe. Die Vorwürfe des Vereins weise die Hochschule zurück. Sie halte sich bei Tierversuchen an alle gesetzlichen Vorgaben: „Leidende oder gestresste Tiere widersprechen auch unserem ethischen Empfinden und würden unbrauchbare Testergebnisse liefern.“
In den Jahren 2016, 2018 bis 2019 wurden zahlreiche Versuche von der Abteilung Neuroanatomie und der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters der Uniklinik RWTH Aachen in mehreren Fachzeitschriften publiziert. „Hierbei sind der Zweck und die Sinnhaftigkeit dieser Versuche generell zu hinterfragen – abgesehen von der Absurdität eines solchen ‚Tiermodells‘ und der grundsätzlich mangelnden Übertragbarkeit von Mensch auf Tier“, meint der Verein.
„Die Autoren der Publikationen wurden von uns angeschrieben und aufgefordert, zukünftig derartige Versuche nicht mehr durchzuführen und stattdessen auf tierversuchsfreie humanbasierte Zellkultur-Modelle einzusetzen. Beispiele für solche Modelle haben wir den Aachener Forschern genannt und erläutert, warum diese Modelle valider und aussagekräftiger sind als die durchgeführten Tierversuche“, erklärt Dr. Gaby Neumann vom Kölner-Verein. Außerdem sei die Genehmigungsbehörde LANUV in Recklinghausen, die die Versuche genehmigt hat, kontaktiert worden. Die Behörde habe man dazu aufgefordert, solche Versuche künftig nicht mehr zu genehmigen, da sie keine relevanten Ergebnisse liefern würden. Auch hier verwiese man auf besser geeignete tierversuchsfreie Methoden.
Das Problem sei jedoch, dass laut §8 (Tierschutzgesetz IST) Tierversuche genehmigt werden, wenn der*die Experimentator*in glaubhaft darlegt, dass es keine tierversuchsfreien Alternativen gebe und dass der Versuch für den Erkenntnisgewinn unerlässlich sei. So werde praktisch jeder Versuch genehmigt. „Im Zusammenhang mit Tierversuchen gibt es leider keine ‚Ethikkommission‘, sondern eine ‚Tierversuchskommission‘. Und der Begriff ‚Ethik‘ gaukelt auch eine Situation vor, die nicht gegeben ist. Denn die Kommission hat für die genehmigende Behörde nur eine beratende Funktion und darf nicht über die Genehmigung von Tierversuchen entscheiden. Auch die entscheidende Behörde kann kaum einen Tierversuch ablehnen“, so Neumann. Sie rät Studierenden, dass sie sich möglichst frühzeitig über Tierversuche informieren und eine eigene Meinung bilden sollen. Man könne sich bereits während des Studiums gegen Tierversuche aussprechen. Außerdem kann man sich beim Verein engagieren, zum Beispiel durch lokale AGen.
:Maike Grabow
0 comments