Literatur. Ihr Debütroman „Axolotl Roadkill“ bescherte Helene Hegemann einst in den Feuilletons Jubel und Plagiats-Vorwürfe. In ihrem dritten Buch „Bungalow“ pulverisiert sie eine Mietskasernen-Welt und verfeinert ihre eigenwillige Prosa.
Es war ein Sound der Wohlstandsverwahrlosung, der eines rotzigen
Jugendslangs und eines bildungsbürgerlichen Hipstertums, den Helene Hegemann 2010 mit ihrem Debütroman anschlug. In „Axolotl Roadkill“ stürzte sich ihre Protagonistin Mifti, eine sechzehnjährige Schulschwänzerin, in das Berliner Techno-Nachtleben. Sex, Drogen und Partys verpackte die junge Autorin in eine eigenwillige Coming-of-Age-Prosa, in der die Jugend als rebellisch und verzweifelt zugleich erschien. So frech, so eigenwillig, dass die Literaturkritik hellauf begeistert war und in der damals erst 19-jährigen Romandebütantin ein Wunderkind entdeckte. Bis aufflog, dass Hegemann lax abgeschrieben hatte. Fortan stritt das Feuilleton fleißig über einen Plagiats-Skandal.
Und Hegemann? Sie veröffentliche 2013 ihren zweiten Roman „Jage zwei Tiger“ und verfilmte zwei Jahre darauf als Regisseurin ihr einstiges Skandal-Debüt. In diesem Spätsommer veröffentlichte Hegemann mit „Bungalow“ ihren bereits dritten Roman. Darin blickt das dreizehnjährige Arbeiter*innen-Klasse-Kind Charlie auf ihre ersten Lebensjahre in einer Mietskaserne zurück, irgendein Vorort in einer Großstadt um die Jahrhundertwende. Ihre Eltern sind geschieden. Charlie lebt alleine mit ihrer Mutter, eine Alkoholikerin, die an Schizophrenie leidet, ständig pleite und vom Leben überfordert ist.
Exaltierter Stil ist geblieben
Frischen Wind bringt nur das Schauspielpaar Georg und Maria in Charlies tristes Vorstadtleben, als beide direkt in das Haus gegenüber einziehen und von Charlie beobachtet werden. Dieser Beobachtungsduktus bestimmt insgesamt die Coming-of-Age-Perspektive in „Bungalow“: das Theater der Erwachsenen, erste Partyexzesse und die heimliche Jugendliebe mit ihrem einzigen Freund Iskender.
Hegemanns exaltierter wie sprachgewaltiger Stil ist geblieben. Ein wenig gedrosselt und geschliffen. Gefickt, gekotzt, geschwitzt, geblutet (ja, sehr viel Blut) wird trotzdem großzügig. Und vor allem gestorben. Erst die Tiere: Hamster, Ratten, Hunde. Bis sich die Menschen umbringen, Nachbar*innen oder Eltern von Schulkamerad*innen.
Nebenbei dringt noch eine Ahnung eines Weltuntergangs in den farblosen Alltag von Charlie. Bis plötzlich ein lauter Knall den Reihenhauskosmos erschüttert und sich der Himmel gelb färbt. Atomkrieg oder eine ökologische Katastrophe? Rätselhaft bleibt bis zum Ende, ob die blutigen und bizarren Szenarien den Phantasien dieser Heranwachsenden entspringen. Hegemanns „Bungalow“ ist ein einziges morbides Grundrauschen. Trance und Rausch, Alptraum und Apokalypse. Damit untermauert Hegemann ihren eigenwilligen Stil und katapultiert sich in die erste Reihe junger, deutschsprachiger Autor*innen.
:Benjamin Trilling
Helene Hegemann „Bungalow“,
288 Seiten,
Hanser Berlin,
23 Euro
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