Bild: Auch der Verfassungs- und der Heimatschutz stehen in der Kritik: Hier bei Demonstrierenden zum NSU Prozess am 13. April 2013 in München. , Der NSU Prozess aus juristischer und soziologischer Sicht Bild: By Fraktion DIE LINKE. im Bundestag [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Justiz. Nach 438 Verhandlungstagen wird am Mittwoch, den 11. Juli, das Urteil im Prozess um Beate Zschäpe und die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verkündet. Doch welche Bedeutung und Folgen hat der NSU Prozess?

Über fünf Jahre ist es her, seit die Verhandlung begann. Fünf Personen werden angeklagt, an den Taten der rechtsextremen Terrorgruppe NSU beteiligt gewesen zu sein. Im Juli 2011 begingen die beiden mutmaßlich ausführenden Täter Selbstmord. Beate Zschäpe wird der Mittäterschaft angeklagt und vier weitere Personen der Beihilfe beschuldigt. Neun Morde an Migranten sowie einer Polizistin, Raubüberfälle und Sprengstoffanschläge sind als Taten der NSU bekannt. Seit Prozessbeginn kamen viele Diskussionen und Kontroversen auf.

 

Aus juristischer Sicht

Der Prozess sei alles andere als gewöhnlich, erklärt Prof. Tobias Singelnstein, Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie II an der Juristischen Fakultät der RUB: „Die Taten sind außergewöhnlich wegen ihrer politischen Dimension und ihres Unrechtsgehalts. Der Prozess ist von seinem ganzen Umfang und Format sowie der zeitlichen Dauer her außergewöhnlich. Es gibt eine große Zahl von Verfahrensbeteiligten, sowohl auf der Seite der Angeklagten, vor allem aber auf Seiten der Nebenklage.“ Außerdem haben sich durch den Prozess verschiedene Diskussionen ergeben, wie die Frage: Wie kann Öffentlichkeit hergestellt werden? „Es herrscht ein großes öffentliches Interesse an dem Prozess, was zu Beginn nicht ausreichend befriedigt werden konnte. Zum anderen hat das Verfahren zu Diskussionen geführt, ob und wie in solchen Verfahren die Anzahl der NebenklägerInnen beschränkt werden kann.“ Allerdings tauge der Prozess als besondere Ausnahme nicht als Beispiel für andere Verfahren. „So ein Verfahren gibt es einmal in zwanzig oder dreißig Jahren. In der normalen Praxis der Justiz tauchen die genannten Probleme praktisch nicht auf“, meint Singelnstein.

 

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht

Doch nach Ende des Prozesses ist noch nicht alles geklärt. „Es gibt viele Hintermänner, die noch nicht vor Gericht gestellt wurden. Der NSU besteht aus viel mehr Personen als den Angeklagten“, so Prof. Karim Fereidooni, Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der RUB. Allerdings würde die Bundesanwaltschaft diese nicht anklagen. Auch sei eines signifikant: das staatliche Versagen. „Merkel versprach 2012 eine lückenlose Aufklärung. Dafür wurde aber nicht gesorgt.“ Die Polizei, der Verfassungsschutz, PolitikerInnen und die Bundesanwaltschaft hätten den umfänglichen Wahrheitsfindungsprozess nicht gewollt und zum Teil massiv behindert, aber Konsequenzen seien ausgeblieben.

Auch die Opfer haben das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren. „Es sind ganz normale Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Vertrauensverlust in die staatlichen Behörden erfahren mussten. Es war ein rassismusrelevantes Ermittlungsverfahren“, berichtet der Sozialwissenschaftler. Die Opfer seien als Migranten bei der Polizei und vor Gericht anders behandelt worden und hätten viel erdulden müssen. Die positiven Folgen des Prozesses zeigen sich nur in der Zivilgesellschaft: „In gewissen Bereichen gibt es einen bewussteren Umgang mit Rassismus als vorher.“ Solidaritätsbekundungen haben dazu beigetragen. Dennoch: „Die negativen Folgen sind spürbarer. Es gab keine lückenlose und zufriedenstellende Aufklärung“, meint Prof. Fereidooni.

Wie auch immer der Prozess am Mittwoch endet, für viele Menschen bleiben noch einige Fragen offen.                    

:Maike Grabow

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