Kommentar. Bessere Arbeitsverhältnisse im Theater entstehen nicht nur durch die Anklage von Hierarchien.
Während sich in Berlin die obersten Theaterschaffenden Deutschlands beim Theatertreffen zusammenfanden, um mit Begeisterung über die Unerlässlichkeit ihrer Kunst zu sprechen, spielten sich in Bochum andere Szenen ab. Denn obwohl sich die Bühnen Deutschlands an der progressiven Front bei Themen wie Gleichberechtigung und Gerechtigkeit verorten, sind die Arbeitsverhältnisse innerhalb der Industrie häufig von den Missständen geprägt, die sie sonst kritisiert. Forderungen wie mehr Gelder, weniger dichte Spielpläne oder eine Wiederaufstockung von Ensembles sind wichtig. Allerdings verlegen sie die Verantwortung auf die nächsthöhere Ebene der Hierarchie.
Der Blick nach innen
Dies ist kein persönliches Versagen, sondern ein Bewältigungsmechanismus von gutwilligen AkteureInnen in einem erbarmungslosen System. Schuld kann auf die Rolle in der Rangordnung verwiesen werden. Ethische Ansprüche fallen dem Paradigma der gebundenen Hände zum Opfer.
Es gilt auch, die Toleranz zur Selbstausbeutung aufzulösen. Permanente Überstunden, schlechte Bezahlung, ständiger Bereitschaftsdienst können nicht weiterhin als unabdingbares Übel verstanden werden. Leidenschaft für Kunst ist kein Tauschwert für gerechte Arbeitsverhältnisse. Dazu gehört an vorderster Stelle die Überwindung von Sexismus in Form von ungleicher Bezahlung, von Regisseuren, die Grenzen überschreiten oder der Selbstverständlichkeit, von Darstellerinnen nackte Haut zu fordern. Auch dürfen angehenden Theaterschaffenden die mitunter miserablen Arbeitsverhältnisse in unbezahlten Hospitanzen und Praktika, die die Schlupflöcher des Mindestlohngesetzes ausnutzen, nicht als Notwendigkeit verkauft werden, die jedeR durchstehen muss. Denn nur wohlhabende Kinder können es sich leisten, Kaffee zu kochen. Theater will transformative Kunst sein, die Menschen aus benachteiligten Schichten und diskriminierten Gruppen ermächtigt. Um in diesem Bestreben glaubwürdig zu sein, muss die künstlerische Finesse, mit der Kritik nach außen und oben gerichtet wird, auch nach innen gewandt sein.
:Stefan Moll
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