Bild: Signierstunde: Nachdem er etliche Widmungen geschrieben hatte, nahm sich Gysi Zeit für die :bsz., Linken-Politiker Gysi verrät der :bsz, dass ihm viele Studis zu unpolitisch sind Bild: Jan Turek

INTERVIEW. In der vergangenen Woche war der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, in Bochum. Bei einer Buchsignierstunde in der Büuchhandlung Janssen in der Brüderstraße sprachen wir mit ihm.

:bsz: Herr Gysi, wie bewerten Sie das Abschneiden Ihrer Partei bei der Bundestagswahl?

GG: Ganz gut. Es hätte besser sein können, aber es hätte ja auch schlechter ausfallen können. Also ganz gut.

Immer wieder feiern in Europa rechtspopulistiche Parteien Erfolge. Auch die AfD war stärker als die Linke. Wie erklären Sie sich das? Gibt es etwas, das die AfD besser macht?

Nein, sie macht nichts besser, aber sie befriedigt ein bestimmtes Bedürfnis in der Bevölkerung. Die großen Konzerne haben die ganze Welt vernetzt. Sie haben Beschäftigte in Australien, in Afrika, in Asien, in Lateinamerika, in Nordamerika, in Europa. Und sie sind nicht darauf gekommen, dass die Leute anfangen, den Lebensstandard zu vergleichen. Da sie aber anfangen, den Lebensstandard zu vergleichen, ist eine der wesentlichen Ursachen für die Fluchtbewegungen. Darauf wiederum ist niemand vorbereitet. Niemand. Keine Regierung, nicht die Konzerne – niemand. Alle diskutieren nur über Abschottung. Das heißt, sie wollen das Problem nicht lösen, sondern nur es nicht mehr sehen. Und man muss eins wissen: Die soziale Frage war bis dahin eine nationale Frage. Plötzlich ist sie eine Frage der Menschheit geworden. Das ist das Neue.

Und da gibt es Trump; da gibt es die Regierung in Dänemark, in Österreich, in Polen, in Holland, in Ungarn, die AfD und Le Pen. Die sagen: „Wir wollen die Geschichte wieder um 60 Jahre zurückdrehen und zum alten nationalen Egoismus zurückkehren.“ Das geht zwar nicht, aber man kann großen Schaden auf diesem Wege anrichten. Und eigentlich müssten die, die das nicht wollen, sich mal zusammensetzen und sich überlegen, was sie an unterschiedlichen Aufgaben dagegen tun können – eigentlich von der CSU bis zur Linken. Wenn Sie mich fragen, ob sie sich je zusammensetzen, dann sage ich Ihnen „Nein.“ Aber eigentlich wäre es nötig.

Was sollte man gegen die AfD tun?

Man muss den Leuten die Strukturen erklären. Das darf nicht so anonym bleiben. Was sollen die Leute mit Europa anfangen? Jeder Bürgermeister sagt Ihnen, das ginge leider nicht nach Europarecht. In der Hälfte der Fälle stimmt’s, in der anderen Hälfte ist es frei erfunden. Sie kommen auch mit der Weltsituation nicht zurecht. Und deshalb klammern sie sich an den Nationalismus und sagen sich: „Ja, vielleicht, wenn wir in der Geschichte wieder zurückgehen, wird alles einfacher.“ Das ist falsch. Also braucht man Lösungen nach vorne, zum Beispiel eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen. Warum müssen wir so billig Lebensmittel nach Afrika liefern, aus der Europäischen Union heraus, dass dort keine eigene Landwirtschaft entstehen kann? Warum ist die Landwirtschaft weltweit in der Lage, die Menschheit zweimal zu ernähren und trotzdem sterben jährlich 18 Millionen an Hunger, darunter auch Millionen Kinder? All diese Fragen kann man beantworten. Aber dann muss man die politische Macht über die Wirtschaftsmacht stellen. Und genau das trauen sich die Regierungen nicht.

Wie können die Themen der Linken wieder mehr in der Öffentlichkeit präsent werden?

Die Linke braucht noch Zeit. Sie hat in ganz Europa und auch in Deutschland eine Schwäche. Das liegt auch am Scheitern der Staatssozialismus. Das hat andere Ursachen, sodass die Leute ihr misstrauen. Auch hat sie noch nicht das richtige Verhältnis zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Leute müssen ja wissen, dass auch bei der Linken die Wirtschaft funktioniert. Da misstrauen sie uns eher. Das kann ich sogar verstehen. Die großen Konzerne sind viel zu mächtig. Dagegen muss man was machen. Aber dafür muss man wieder die kleinen und mittelständischen Unternehmen gewinnen, weil man es ohne sie nicht schafft. Dann müssen wir Gruppeneigentum fördern – also Genossenschaftseigentum. Zum Beispiel bei Fischerei macht das Sinn; bei Blumen macht das Sinn; im Wohnungswesen macht das Sinn; und die öffentliche Daseinsvorsorge, also von der Bildung bis zum Krankenhaus. die müssen in öffentlichem Eigentum stehen. Ein Krankenhaus muss sich nicht in erster Linie rechnen, sondern in erster Linie für Gesundheit da sein. Das ist ein großer Unterschied.

Ihr neues Buch heißt „Ein Leben ist zu wenig“. Was bedeutet das für Sie? Ist es seit 2015, als Sie ein bisschen in die zweite Reihe getreten sind, besser für Sie geworden?

Ach, wissen Sie, das ist ganz unterschiedlich. Ich könnte sagen „Ich hab’ vier Berufe und insofern fünf Leben: Ich bin Politiker. Ich bin Rechtsanwalt. Ich bin Autor. Ich bin Moderator und habe noch eine Familie.“ Aber das meine ich nicht. Was ich meine ist, dass ich bisher mehrere Leben geführt habe: Mein erstes Leben war in der Kindheit und Jugend. Mein zweites Leben war das Studentenleben. Das hatte mit der Kindheit und Jugend nichts mehr zu tun. Mein drittes Leben war mein Anwaltsleben in der DDR, wo viele denken, dass ich überwiegend politische Strafsachen gemacht habe. Das ist natürlich Blödsinn. Das waren weniger als 5 Prozent. Ich habe gerne Scheidungen gemacht. Ich habe Zivilrechtsangelegenheiten gemacht. Ich habe im Strafrecht Betrüger, Diebe, Mörder vertreten – also ganz normal.

Zwischenfrage einer Zuhörerin: Gab’s das?

Na klar gab’s das – im Jahr in der DDR etwa so 150 Mordversuche oder Morde. Stand sogar im statistischen Jahrbuch der DDR. Aber wer guckt schon ins statistische Jahrbuch? (lacht) Aber wir natürlich – wir Anwälte, weil wir das ja wussten, dass das da drin steht. Aber natürlich dann 5 Prozent machten die politischen Strafsachen aus. Das war, wenn Sie so wollen, mein drittes Leben. Mein viertes Leben war die Zeit 1989-90. Das war völlig neu. Das hatte mit dem Anwaltsleben nichts mehr zu tun – die ganzen politischen Brüche. Und mein fünftes Leben war mein Erstes in der Bundesrepublik Deutschland. Es war die Zeit, in der ich von einer großen Mehrheit der Bevölkerung, der politischen Klasse und der Journalistinnen und Journalisten abgelehnt wurde und wo ich eine harte Arbeit geleistet habe, um mir eine Art Akzeptanz zu erarbeiten. Und nachdem ich die erreicht hatte, begann mein sechstes Leben in der Bundesrepublik. Das war das mit Akzeptanz. Und wenn ich nur die Wahl zwischen dem fünften und dem sechsten habe, dann nehme ich das sechste. Und mein siebtes Leben ist das Alter. Und da steht in meinem Epilog drin: „Ich bin wild entschlossen, das Alter zu genießen“ und dazu bin ich auch entschlossen.

Das ist richtig so. Was wäre jetzt für Deutschland die beste Option? Große Koalition, Minderheitsregierung, Neuwahlen oder doch ein Jamaika-Comeback?

Na, die beste Option wäre natürlich, wenn ich Kanzler würde. (lacht) Aber dazu hab ich ja keine Zeit.

Oder gerne auch als Bundespräsident?

Nee, der hat ja nichts zu sagen. Dann schon lieber Kanzler. (lacht) Aber wehe, Sie schreiben nicht dahinter „Klammer auf – lacht – Klammer zu“ (lacht) Sonst denken die Leute, ich hab’ ’ne Meise.

In NRW möchte die neue Landesregierung Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer einführen. Was halten Sie davon und was sind Ihre Ideen zur Bildungspolitik?

Was wollen wir denn nun? Wollen wir die Leute aus der dritten Welt ausbilden und ihnen ’ne Chance geben oder wollen wir es verhindern? Das ist die einfache Frage. Wenn wir von denen Gebühren nehmen, die können die doch gar nicht bezahlen. Das ist genauso abenteuerlich wie wenn wir Fachleute aus der Dritten Welt abwerben mit höheren Gehältern. Dann fehlen ihnen die Fachleute, dann haben wir schon wieder eine neue Fluchtursache geschaffen. Das Denken ist immer so kurz. Ich kann es gar nicht nachvollziehen. Muss ich mal mit Laschet reden. Der ist ja eigentlich ganz nett. Wieso kommt der auf so schwachsinnige Ideen?

Er hat ja auch viel mit Lindner geredet …

Ja. (lacht)

Wie ist Ihre Beziehung zu Bochum? Was haben Sie für Eindrücke?

Bochum ist eine spannende Ruhrgebietsstadt. Das ganze Ruhrgebiet ist spannend, weil es eine Gegend ist, wo die Arbeiter dominierten und wo jetzt die Kultur obsiegt, weil die meisten Gruben weggefallen sind. Und so eine Transformation einer Gesellschaft zu erleben, ist immer etwas Spannendes. Es gibt noch die alten Arbeiter: Die können damit wenig anfangen. Es gibt die neuen jungen Leute: Die haben sich auf eine völlig neue Situation eingestellt. Das ist alles spannend. Ich habe natürlich in der ehemaligen DDR eine noch viel größere Transformation erlebt. Berlin war ein bisschen eine Ausnahme, weil Berlin immer eine Ausnahme ist – auch im Negativen: Unser BER ist ja einmalig auf der Welt.

Haben Sie noch eine letzte Botschaft an die Studierenden der Ruhr-Uni? Vielleicht noch ein Wort zur Hochschulpolitik.

Erstens ist unsere wichtigste Reserve die Bildungspolitik. Unsere Gold- und Erdölvorkommen sind sehr begrenzt in Deutschland, also müssten wir sehr viel mehr in Bildung investieren. Was unser Schulsystem betrifft – es ist abenteuerlich: 16 verschiedene Schulsysteme, bloß weil wir 16 Bundesländer haben. Das mag ja im 19. Jahrhundert ein gewisser Fortschritt gewesen sein, aber mit dem 21. Jahrhundert hat das nun gar nichts mehr zu tun. Und den Studierenden sage ich eins: Sie müssen lernen, rebellischer zu werden. Sie lassen sich viel zu viel bieten. Es kann doch nicht sein, dass ich rebellischer bin als Ihr alle zusammen. Also strengt Euch mal ein bisschen an.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte: Gastauto Jan Turek

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