Bild: Unendliche Weiten: Die hinter den Lichtschwüngen verborgenen Morsecodes datieren die Erscheinungszeitpunkte von Google, Wikipedia und dem ersten iPhone. , :bsz zu Gast bei der Biennale di Venezia Bild: box

Weltausstellung. Andiamo, amore mio, wir fliegen nach Venedig. Das Kunstjahr 2017 endet für uns mit der wohl pompösesten aller Ausstellungen: der Biennale. Bis zum 26. November ziert die Weltkunstschau noch das venezianische Stadtbild. 

Was für ein (kunst-)ereignisreiches Jahr! Documenta (:bsz 1136), Skulptur Projekte in Münster (:bsz 1139) und: la Biennale di Venezia. Die 57. Ausgabe der Weltkunstschau unter der Leitung von Christine Macel, der Kuratorin des Centre Pompidou in Paris, wurde angekündigt unter dem Titel: VIVA ARTE VIVA. Auf einer ersten Pressekonferenz im Februar 2017 waren die Ankündigungen groß, die Vorstellungen vielversprechend. Workshops mit Olafur Eliasson, die „Offene Tafel“ als Begegnungs- und Dialogstätte mit den KünstlerInnen, keine erhobenen Weltrettungsansprüche. Es hörte sich wie ein Gegenentwurf zur politischen Agenda der documenta14 an. Doch hielt die Biennale ihr Versprechen ein? 

Pavillons unter der Lupe

Der Hauptschauplatz liegt im venezianischen Stadtteil Castello: die Giardini. Hier präsentieren sich 28 Länder in nationalen Pavillons. Die deutschsprachigen Nachbar- Innen aus Österreich entsandten Brigitte Kowanz und Erwin Wurm, der zuletzt Ausstellungen im Lehmbruck-Museum und in der Kuppersmühle in Duisburg begleitete. Wurm stellt mit seinen „One Minute Sculptures“  Querverbindungen zwischen performativen Posen und skulpturalem Verständnis her, die auch zum albernen Mitmachen einladen. Währenddessen verbirgt Brigitte Kowanz kryptische Morsecodes hinter Lichtlinien, die sich in „virtuellen Räumen“ durch parallel positionierte Spiegel in die Unendlichkeit vervielfältigen.

Im russischen Pavillon herrscht psychedelische Propaganda-Stimmung. Während Grisha Bruskin die angsteinflößende Mechatronik von Massen zur Schau stellt – Menschenmassen, Massenproduktion, Massenmedien – manövriert die Recycle Group die BesucherInnen des russischen Pavillons mithilfe einer digitalen App durch den neunten Höllenkreis von Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“. 

Ein Preis, ein Preis!

Besondere Aufmerksamkeit genoss der deutsche Pavillon: wegen Anne Imhof. Ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag steht sie im Mittelpunkt der Kunstwelt, nicht zuletzt wegen ihres raschen Aufstiegs. Imhof hat eine klare performative Signatur – schon ihre Werktrilogie „Angst I, II und III“ hinterließ eindeutige Spuren, die auf sie zurückzuführen sind und für die 57. Biennale in Venedig entschied sie sich für einen deutschen Klassiker: Faust. Eine Kombination aus Malerei, Skulptur, Installation und Performance eröffnet den BesucherInnen des deutschen Pavillons eine Welt der Seelenlosigkeit. Apathisches Starren, kalte weiße Wände, Nebel, hallender Klang und mechanische Bewegungen von Schönlingen, die einer transzendierten Technogeneration entsprungen sind; entflossenes Leben raubt dieser Ästhetik jeden Glanz. 

(Parallele) Realität im Blick behalten

Doch die Weltkunstschau hat – wie so alles – auch Kehrseiten: den Austragungsort. Zwischen byzantinischer Blüte, von Renaissance-Meistern bemalten Kapellen, dem Canale Grande und Barockfassaden ist die Aura von mehr als tausend Jahren Kunstgeschichte kaum gealtert. Die Seerepublik kämpft jedoch mit infrastrukturellen 

Problemen und der Einbindung der nicht-touristischen Stadtteile wie Mestre und Marghera, wo sich die industrielle Tätigkeit konzentriert. Und wieder stellen sich die Fragen: Kunst zum Preis touristischer Inflation? Oder einfach mal genießen?

:Marcus Boxler

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