Glosse. Tagebucheintrag von Pjotr Pawlenski. Wir schreiben das Jahr 2017, es ist Sonntag, der 15. Oktober. Paris. Zeit für Erleuchtung.
Es bedarf einer zündenden Idee. Wer sind denn die wahren VerbrecherInnen dieser Welt? Die meuchelnden MisanthropInnen, die alles mit ihrer Gier vergiften? Wer sind die MonarchInnen der Moderne? Der Mensch stapft durch die Düsternis – desorientiert, unbesonnen, apathisch – und erkennt sich nicht mehr selbst. Wie ein Schattenwesen lebt er in seiner Höhle. Und warum? Da sind Menschen, die sich für etwas Besseres halten. Für klüger, schöner, wertvoller. Meterhohe Riesen setzen sie in die Landschaft und bauen Türme, die in unsichtbare Höhen ragen. Diese künstlichen Giganten, die Manifestation ihrer Egos, entblößen ihre Sperrigkeit, verdecken gar das Sonnenlicht, so wichtig nehmen sie sich! Und der bescheidene Mensch in seiner Höhle? Verkommt und verrottet, weil er vergessen hat, wie das Licht der Sonne aussieht. Wie es sich anfühlt. Es wird Zeit, dass jemand Licht ins Dunkel bringt.
Retrospektive
Und dabei lernte ich diese Stadt erst lieben. Im Januar gelang uns endlich die Flucht nach Paris, die Flucht vor den russischen Behörden. Nach meinem Versuch, den Hauptsitz des FSB in Moskau anzuzünden, rückten mir die behördlichen Bastarde immer näher. Nur weil sie nicht sehen können! Sie durften Teil von etwas Besonderem sein, einem Akt der Selbstaufopferung für die Symbolik der Kunst. Der Aktion! Warum sollten sie denn brennen? Wer übt den staatlichen Terror aus? Wer schickt seinen größten Kritiker Monate vor der Brandstiftung in die Psychiatrie? Sie wollen einen Verrückten sehen – dann bekommen sie Einen, ganz nach ihrer Vorstellung! Nichts hat sich verändert: Die Sowjets haben ihre RegimekritikerInnen systematisch in geschlossenen Anstalten mundtot gemacht. Und jetzt? Immer noch Sowjets. Nennen sich nur anders.
Perspektive
„Mögen also die lustigen Brandstifter mit ihren verkohlten Fingern kommen! Hier! Da sind sie! … Drauf! Legt Feuer an die Regale … Ergreift die Spitzhacken, die Äxte und die Hämmer und reißt nieder, reißt ohne Erbarmen die ehrwürdigen Städte nieder!“ Aus meinem Fenster der Blick auf die Banque de France. Gewesen.
:Marcus Boxler
0 comments