Kommentar. Auch dieses Jahr wurde vor Gerichten um das Kopftuch gestritten. Es scheint noch ein langer Weg zu sein, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass jegliches Kopftuchverbot dem gesellschaftlichen Miteinander schadet.
Das Bundesverfassungsgericht hat Anfang des Monats den Eilantrag einer muslimischen Rechtsreferendarin aus Hessen abgelehnt, die ihren gesamten Ausbildungsdienst mit Kopftuch absolvieren wollte. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte der angehenden Juristin durch ein Urteil zuvor verweigert, auch dann ein Kopftuch tragen zu dürfen, wenn sie als Vertreterin der Justiz auftritt und beispielsweise bei einer Gerichtsverhandlung als Beisitzerin mit auf der Richterbank sitzt. Begründet wurde dies mit dem staatlichen Neutralitätsgebot.
Nach der Ablehnung des Eilantrags steht die Entscheidung in der eigentlichen Verfassungsbeschwerde zwar noch aus – doch ist es leider unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht die Kopftuchverbote bei Staatsanwältinnen und Richterinnen für verfassungswidrig erklären wird. Dabei widerspräche das so häufig dramatisierte Stück Stoff auf dem Kopf manch einer muslimischen Frau in Wahrheit keineswegs der religiösen Neutralität der Justiz.
Negative Religionsfreiheit?
Auch die VertreterInnen der Justiz sind schließlich Menschen, die religiöse Überzeugungen haben dürfen. Ob andere ihnen diese Überzeugungen an einer Kopfbedeckung ansehen können, sollte grundsätzlich ebensowenig eine Rolle spielen, wie wenn jemandes Religionszugehörigkeit per Internetrecherche zu ermitteln ist oder wenn zum Beispiel ein Richter in einem Zeitungsinterview angibt, Katholik zu sein.
Mit Vernunft und Verhältnismäßigkeit betrachtet wird die negative Religionsfreiheit der anderen Prozessbeteiligten eben nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass sie eventuell einen Prozess führen müssen, bei dem sie einer Repräsentantin des Staates ihre religiösen Zugehörigkeit ansehen können. Hier wird es höchste Zeit für einen Bewusstseinswandel in der Rechtsprechung. Schließlich hat auch niemand einen Anspruch darauf, dass StaatsanwältInnen und RichterInnen keinen Ehering tragen dürfen, obwohl mit der Ehe Wertvorstellungen verknüpft sind oder verknüpft sein können, die nicht jedeR befürwortet.
Religiöse Neutralität
In Teilen Großbritanniens können Polizistinnen ein Kopftuch als optionalen Teil ihrer Uniform tragen, ohne dass dies einen Bruch mit dem staatlichen Neutralitätsgebot darstellt. So wie Sikhs dort als Bestandteil der Polizeiuniform einen Turban tragen dürfen. Solch eine – auch sichtbare – Integration von Angehörigen verschiedener Religionen in tragende gesellschaftliche Strukturen stellt den richtigen Weg dar.
Eine säkulare Gesellschaft sollte sich nicht durch die optische Verdrängung von Religionen oder überhaupt durch Religionsfeindschaft definieren, sondern durch die ausdrückliche Offenheit gegenüber Menschen jeder Religion und eine gerade dadurch zum Ausdruck kommende religiöse Neutralität des Gemeinwesens. Dementsprechend hat der Zugang zu Arbeitsplätzen und Ämtern stets auch denjenigen muslimischen Frauen offen zu stehen, die als Teil ihrer religiösen oder religiös-kulturellen Identität ein Kopftuch tragen.
:Gastautor Patrick Henkelmann
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