Essay. Wenn selbst in Bochum wieder Häuser besetzt werden, fragt man sich: Was darf eigentlich politischer Protest? Sind illegale Protestaktionen politisch legitim? Jein!?
Auf dem Weg zur Beantwortung schauen wir auf den Diskurs zum zivilen Ungehorsam, wohl am kompaktesten definiert vom Aktivisten Howard Zinn als „die überlegte und gezielte Übertretung von Gesetzen um dringender gesellschaftlicher Ziele willen“. Umfangreicher wird es beim Philosophen Jürgen Habermas in „Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat.“ Nach Habermas ist der zivile Ungehorsam ein moralisch begründeter, nicht vornehmlich eigennütziger, öffentlicher, gewaltfreier und symbolischer Protestakt, der eine vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen einschließt, ohne aber die Rechtsordnung als Ganzes abzulehnen. Letzteres zeige sich auch dadurch, dass die Rechtsbrechenden widerstandslos für die Folgen ihrer Tat einstehen. In dieser Form wird der zivile Ungehorsam in der politischen Philosophie von Habermas und Co. sogar als „Element einer reifen politischen Kultur“ gelobt und für legitim erklärt.
Dringliche Ausnahme
Natürlich kann eine solche Protestaktion nur die absolute Ausnahme in Fällen von größter Dringlichkeit oder sonst nicht zu bekämpfendem Unrecht in Gesetz, Norm oder Staatshandlung sein. Man nennt als Beispiele die Mahatma Gandhis und Martin Luther Kings der Geschichte und nicht irgendwelche lokalen Proteste. Der Schritt zum Gesetzesbruch muss ein großer und das Unrecht ebenso groß, wenn nicht größer sein, oder?
Ich fahre übers Wochenende an einen See ins Sauerland und freue mich auf einen schönen Spaziergang am Wasser. Leider ist weit und breit kein Zugang zum See zu finden: Privatgelände liegt neben Privatgelände, neben Segelclub, neben Privatgelände, neben Campingplatz. Leider hält der deutsche Staat freien Zugang zu einem öffentlichen See nicht für ein Gemeingut. Ich ärgere mich kurz, seufze, will aufgeben und umdrehen, da entdecke ich zwischen zwei privaten Anwesen ein Stück kaputten Zaun, zertrampelte Büsche und ein kleines Schild mit der Aufschrift „Der See gehört allen!“ Der Zaun wurde mit Gewalt geöffnet – eine kleine Protestaktion. Ich zucke mit den Schultern und komme doch ans Wasser.
Im Kleinen wie im Großen?
Das wirkt vielleicht albern oder juvenil, wenn es mit dem Kampf gegen das Apartheidsregime verglichen wird, ist aber näher am kommunalpolitischen Alltag. Es ist auch im Kleinen möglich ein wenig zivil ungehorsam zu sein – nicht als erstes Mittel – aber als Weg aus der Hilflosigkeit gegenüber einem vernachlässigtem Unrecht. Das gilt für zunehmende versperrte Seezugänge genauso und natürlich erst recht für Themen wie die vernachlässigte soziale Wohnraumpolitik einer Kommune. Die Gesetze und Handlungen des Staates – zuweilen auch aktiv – zu hinterfragen ist wichtiger Bestandteil einer politisch emanzipierten Gesellschaft. Gerade an einer Uni, die sich mit Prometheus einen antiken zivil Ungehorsamen auf die Flagge schreibt – stahl er doch wider göttlichem Gesetz das Feuer, um es den Menschen zu bringen – kann es nicht schaden, dass eigene Moralempfinden ab und an etwas über den Gesetzestellerrand blicken zu lassen.
:Frederik Herdering
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