Soziales. Obdachlose sind vielen Menschen ein Dorn im Auge. Die Minderheit wird stigmatisiert, entmenschlicht und mit Vorurteilen betrachtet. Die :bsz war am Wochenende auf der Platte am Buddenbergplatz hinter dem Hauptbahnhof, um die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen.
Dieter ist obdachlos seitdem er vor drei Monaten aus der Haft entlassen wurde. Er hat jedoch das Glück, bei einem Freund wohnen zu dürfen. Allgemein scheint der Zusammenhalt in der Szene groß zu sein. Er bettelt nicht, sondern sammelt Flaschen. Außerdem ist er mit den Hilfsangeboten für Obdachlose zufrieden. Bald wird er eine eigene Wohnung bekommen und blickt zuversichtlich in die Zukunft.
Apache – Rest in Peace
Totti hat seit 15 Jahren keine Wohnung mehr. Er schläft „mal hier, mal da und auch auf der Straße oder im Park“. Im Winter, so erzählt er, sei es „arschkalt“. Während unseres Gesprächs spricht er mehrfach PassantInnen an, um nach Zigaretten zu fragen. „Ich bin kein Bettler. Ich bin ein Schnorrer. Ein Schnorrer macht lustige Sprüche“, stellt er klar. Von „Haste-ma-ne-Maaark“-BettlerInnen distanziert er sich. Von harten Drogen will er auch nichts wissen: „Ich konsumiere nur Alkohol.“ Jugendliche werden von ihm sofort weggeschickt, damit sie erst gar nicht mit den „Scheiß-Drogen“ in Kontakt kommen.
Seine Bekannte Caos, die ebenfalls wohnungslos ist, heroinsüchtig war und jetzt substituiert wird, beschwert sich über den ruppigen Umgang der Polizei mit Menschen, die versuchen, im Bahnhof zu schlafen. Zudem sei es als Frau besonders schwer, erklärt Caos, „weil du als Frau immer sexuell angemacht wirst“. Als das Gespräch auf Apache, einen alten Freund der beiden kommt, der vor kurzem an einer Überdosis gestorben ist, werden die beiden sentimental. In ihren Gedanken wird er weiterleben, sind sie überzeugt. Apaches Kette, die Totti um den Hals trägt, ist für ihn ein Heiligtum.
Empathie statt Ekel
Petra hat zwar selbst eine Wohnung, ist jedoch Alkoholikerin und kennt viele Obdachlose. Sie beschreibt einen Teufelskreis aus Drogen, Obdachlosigkeit, Armut und Kriminalität, aus dem man „nur sehr schwer wieder raus kommt“. Sie selbst war auf einem Gymnasium und ist ausgebildete Fremdsprachenkorrespondentin. Nach dem Tod ihres Vaters vor sechs Jahren wurde sie heroinsüchtig. „Man sollte sich Hilfe holen“, ist sie sicher. Inzwischen ist sie ebenfalls clean und wird substituiert. „Es erschreckt mich sehr, wie schnell man obdachlos wird“ und sie macht sich Sorgen, auch eines Tages auf der Straße zu landen.
Auf die Frage, wie PassantInnen auf Obdachlose reagieren, vermutet sie „die meisten versuchen so schnell wie möglich vorbei zu gehen und so wenig wie möglich mitzubekommen. Es ist ihnen unangenehm.“ Zum Teil sei das auch gerechtfertigt: „Wenn ich eine Familie und Kinder hätte, würde ich vielleicht auch Angst haben, wenn da jemand rumschreit und rumlallt.“ Oft seien die Leute jedoch auch zu Unrecht voreingenommen, weil der Kontakt fehle: „Ich würde mir eine Art Diskussionsabend wünschen, damit man sich gegenseitig kennenlernt“, erklärt sie. „Nicht nur, weil jemand obdachlos ist, ist man ein schlechter Mensch. Es sind oft familiäre Schicksale, die damit zusammenhängen. Man sollte zuhören, bevor man urteilt.“
Gastautor :Jan Turek
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