Kommentar. Auch nach dem knappen Referendums-Sieg und dem Ende der türkischen Republik wird an Europa und die Bundesrepublik appelliert. Dabei ist die deutsche Innen- und Außenpolitik mitschuldig und muss genauso bekämpft werden.
Es sind die Rituale, die nach Siegen im Fußball zelebriert werden. Autokorsos, bunte Fahnen, die während der Fahrt aus den Fenstern wehen, Zeichen der Begeisterung. Doch damit wurde am Abend des Ostersonntags kein Vereinssieg gefeiert, sondern das knappe „Ja“ beim Referendum, das offizielle Ende der parlamentarischen Demokratie, die fast hundert Jahre währte.
Während nun auf der einen Seite triumphiert wird, dreht sich im fast genauso großen „Nein“-Lager alles um die Frage: Was tun? Vor allem aus der hierzulande so großen Ferne? Diese Ohnmacht teilen alle kritischen ZeugInnen von Erdoğans autoritärem Staatsumbau: Wir sind ZuschauerInnen eines Prozesses, der ein parlamentarisches System abschafft, das in Teilen Europas bereits als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Was Verhaftungen und Verfolgung, was staatlicher Terror, was massive Bekämpfung der Pressefreiheit bedeuten, das weiß keineR von uns, die/der in der BRD aufgewachsen ist.
„Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“
Doch dass die, die nun die Stimme gegen das Vorgehen in der Türkei erheben (Teilzeit-HumanistInnen aus den großen Bundestagsfraktionen, betroffenheitsliberale JournalistInnen der wichtigsten Meinungsmache-Organe, verkaterte Linke) als wäre es die Stimme derjenigen, die von der Unterdrückung und Verfolgung in der Türkei betroffen sind und dabei an die westlichen Werte oder direkt an die Außenpolitik der Bundesrepublik appellieren, ist nicht nur die falsche Strategie, sondern blanke Heuchelei. Zur Erinnerung: Die Bundesrepublik hat nicht nur im Zuge des „Flüchtlingsdeals“ Erdoğans Herrschaftsbestrebungen wirtschaftlich gestützt, sondern auch das militärische Equipment geliefert, mit der die AKP-Schergen rücksichtslos gegen die Opposition oder KurdInnen vorgehen. Das ist nichts Neues, daran wird sich kaum was ändern. Gab es Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern, wo die BRD mit Waffen oder Kapital aushalf, so haben sich die Reihen der Fraktionen von CDU, SPD und Co. bisher einheitlich-emphatisch am Hintern gekratzt. Dabei werden sie auch kommende Menschenrechtsverletzungen in der Türkei nicht aus dem Rhythmus bringen. Der eigene Stuhl ist ja warm. Diese Gemütlichkeit wird oft mit Realpolitik übersetzt, bedeutet aber letztendlich imperialistische Machtpolitik im Interesse der Banken und Konzerne.
Selbst Linke, wie etwa die Bochumer Bundestagsabgeordente Sevim Dağdelen haben zu sehr auf Appelle gesetzt. Was dabei untergegangen ist, ist eine linke, antimilitaristische Tradition, die Karl Liebknecht einst auf den Punkt brachte: Der Hauptfeind steht immer im eigenen Land! Wer sich also wirklich mit den Verfolgten und Unterdrückten in der Türkei solidarisieren will, muss Erdoğans imperialistische Verbündete in der BRD angreifen. Das kann auch Solidaritätsarbeit mit von Repressionen Betroffenen wie etwa Mitglieder des kurdischen Studierendenverbandes (YXK) bedeuten. Oder auch die Unterstützung von Protesten hierzulande. Ja, es beginnt schon beim Urnengang. Spätestens im September wird bekanntlich bei der Bundestagswahl darüber entschieden, wer auf den angewärmten Stühlen für ein paar Jahre Platz nehmen darf.
:Benjamin Trilling
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