Bild: Ein ganz normaler Mittwoch: JedeR tut, was er/sie möchte und am Ende steht die Ausgabe. , Glosse: :bsz erneut bei ChefredakteuerInnenwahl übergangen Karikatur: tom

Glosse: Jochen Wegner von „Zeit Online“ ist Chefredakteur des Jahres geworden. Er sei, so die Jury der Branchenzeitschrift „medium magazin“, „zum Vordenker für digitalen Qualitätsjournalismus in Deutschland avanciert“. Aber was ist mit uns?

Wir wurden bei der Wahl gar nicht berücksichtigt. Unsere investigativen Ausflüge in brisante Gegenden, in denen der Gefahrensport Quidditch betrieben wird (:bsz 1112) oder in brutalst umkämpfte Gefilde in der Uni-Bibliothek (:bsz 1110), bei denen wir Gefahr liefen, Knöllchen zu kassieren, wurden scheinbar nicht einmal zur Kenntnis genommen. Ich nahm an, dass uns zumindest die Auseinandersetzung mit stachelbesetzten, allesverschlingenden Raubtieren in der Wildtierauffangstation (:bsz 1110) Aufmerksamkeit generiert – aber die Menschen scheinen andere Interessen zu haben. Und es geht nur noch darum, größere Marktanteile als andere WettbewerberInnen zu haben.

Ich hab’s. Es liegt daran, dass wir keineN ChefredakteurIn haben. Wir sind eine Konsens-Redaktion, und wir sind alle ChefIn. Da bin ich ja erleichtert, dass das der einzige Grund für die Nicht-Berücksichtigung ist.

Eine ganz normale Sitzung

Bei uns werden Entscheidungen unisono getroffen. Und so ein reibungsloser Arbeitsablauf ermöglicht. Naja, nicht immer. Man verbringt auch gerne mal Zeit mit endlosen Diskussionen über Dinge, die einE ChefredakteurIn wahrscheinlich früh im Keim ersticken würde.

Zu Beginn unserer wöchentlichen Sitzungen besprechen wir die aktuelle Ausgabe und üben Kritik an einzelnen Artikeln. „Das ist scheiße!“ – „Scheiße ist keine konstruktive Kritik.“ Der Umgang miteinander ist herzerwärmend. Wir haben uns in unserem Hate Space alle lieb.Im Anschluss daran wird die kommende Ausgabe geplant. „Wir MÜSSEN ja mal wieder was über Trump machen!“ – „Wir sind eine Studierendenzeitung. Und keiner von uns ist kompetenter, was das Thema angeht, als die großen Blätter. Aktuell können wir als Wochenzeitung in diesem Zusammenhang auch nicht sein.“ – „ABER DAS INTERESSIERT DIE LEUTE!“ 30 Minuten später: „Veto.“ Denn dazu ist hier jedeR RedakteurIn berechtigt.

Und täglich grüßt das Murmeltier. Wir werden uns jede Woche erneut darüber bewusst, dass wir über das Uni- und Stadtgeschehen zu berichten haben, auch wenn in der Welt so viel mehr passiert. Aber auch in diesem Mikrokosmos spiegelt sich das gesamtgesellschaftliche Bild. Und dieses versuchen wir effektiv zu vermitteln. 

Dann kommt es wieder zu Meinungsverschiedenheiten in diesem Kontext. Eine Person möchte unbedingt über die siebenundvierzigste Premiere im Theater XY schreiben, eine andere hätte eine verspätete Rezension zu einem für den Oscar nominierten Film anzubieten. 

Licht am Ende des Tunnels

Dann geht langsam aber sicher die Aufmerksamkeit flöten und nach vier von insgesamt zwei Stunden steht das Gerüst der aktuellen Ausgabe. So kraxelt man den langen Weg zur Einstimmigkeit entlang, bis die Ausgabe steht und vier Leute dreimal so viel schreiben wie der Rest. Partiell schweißgebadet schlurfen die RedakteurInnen dann aus der Redaktion, manchmal unter Tränen.

In diesem Sinne beglückwünsche ich Herr Wegner. Sie werden niemals so viel Spaß haben wie wir. Denn obgleich der Hürden, die der Konsens mit sich bringt: Wir amüsieren uns Woche für Woche köstlich. Und ’nen Preis wollen wir dafür auch nicht.

:Tobias Möller

 

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