In einer EU-Studie zu geschlechtsspezifischer Gewalt findet sich eine verstörende Statistik: JedeR vierte Befragte meint, dass „Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung“ unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein kann. Und vermutlich sogar vom Opfer provoziert – so fast ein Fünftel der Deutschen. Immerhin befindet sich Deutschland im europäischen Vergleich im soliden Mittelfeld. Beruhigend – nicht wahr?
Im Rahmen der von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie wurden 27.818 EU-BürgerInnen aus 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union „im Rahmen persönlicher Gespräche zu Hause und in ihrer Muttersprache interviewt“. Demzufolge sollte man meinen, dass alle verstanden haben, wozu sie befragt wurden – auch wenn einige Medien die schwammigen Begriffe kritisieren. Vielleicht würden bei „Vergewaltigung“ schneller die Alarmglocken schallen als bei „Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung“ und die Antworten wären anders ausgefallen. Am Sachverhalt ändert sich dadurch nichts.
Eine von uns dreien
In der im November veröffentlichten Studie geht es zwar um Männer und Frauen, allerdings heißt es dort auch, dass die Mehrheit der Opfer weiblich ist: „In der EU hat eine von drei Frauen ab 15 Jahren körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren.“ Also einmal das beliebte Spiel spielen und im Hörsaal rechts und links gucken: Ja, eine von uns. Wahrscheinlich. Nehmen wir noch eine vierte Person dazu und eineR von uns denkt vielleicht sogar, dass es gerechtfertigt war. Wären wir zu fünft, dann dächte eineR von uns, dass das Opfer es vielleicht darauf angelegt hat – oder die Vorwürfe direkt erfunden oder übertrieben hat. Schließlich glauben in Deutschland 19 Prozent, dass Gewalt gegenüber Frauen oft vom Opfer provoziert wird und 22 Prozent „dass Frauen Missbrauchs- oder Vergewaltigungsvorwürfe oftmals erfinden oder übertreiben“.
Na dann Prost – oder lieber doch nicht
Es ist erschreckend, dass 27 Prozent der Deutschen Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung in mindestens einer der in der Studie angegebenen Situationen für gerechtfertigt halten: zum Beispiel betrunken sein, freiwillig mit jemandem nach Hause gehen, sich sexy kleiden, mehrere SexualpartnerInnen zu haben oder gar – wie schockierend! – zu flirten. Dabei liegt Deutschland im Mittelfeld zwischen Schweden (6 Prozent) und Rumänien (55 Prozent). Übrigens sehr praktisch, dass die Studie (zu finden unter tinyurl.com/geschlechtsspezifischegewalt) nicht nur den EU-Durchschnitt, sondern auch eine Aufschlüsselung nach einzelnen Ländern angibt. Ich weiß jetzt jedenfalls, wo ich lieber nicht alleine Urlaub machen möchte – und dass die Einstellung der Deutschen zu dem Thema im direkten Vergleich doch deutlich zu wünschen übrig lässt.
Auf jeden Fall wissen wir ja jetzt alle, dass wir mit Mini-Rock bekleidet und Weinglas in der Hand lieber tunlichst jeglichen Kontakt zu anderen Menschen vermeiden sollten – nicht, dass wir aus Versehen flirten! Und wer so auf einer WG-Party landet, sollte sich zumindest statistisch gesehen nicht wundern, wenn er oder sie vergewaltigt wird – pardon, Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung hat.
:Stefanie Lux
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