Es hat so unschuldig angefangen: Ein paar forschungsbesessene Nerds mit dem Verlangen nach Größerem haben mich zu ihrem Anführer erklärt. Ich habe, denke ich, gute Arbeit geleistet: Wir haben eine komplexe künstliche Intelligenz entwickelt, fremde Lebewesen domestiziert (und verspeist), Helden angeworben und die Tiefen unserer Galaxie erforscht. Aber wir haben auch unser Gebiet verteidigt, eine Kriegsflotte ausgehoben und mächtige Generäle an ihre Spitze gesetzt.
Und jetzt, 75 Spielzüge später, verhungert meine Bevölkerung, die Industrie ist zum Erliegen gekommen und unsere ehemals gewaltige Kriegsflotte besteht nur mehr aus einem Erkundungsschiff und einem halb kaputten Kanonenboot, das den Tag größtenteils damit verbringt, vor unseren Gegnern zu fliehen.
Und das alles nur, weil ich während der Wahlen öffentlich die falsche Partei unterstützt habe.
Freiheit im Spiel
Endless Space 2 ist der neueste Titel aus dem Hause Amplitude Studios und ist momentan im Steam Early Access spielbar. In dieser frühen, unfertigen Version bietet das Weltraum-Strategiespiel schon einiges: Forschung, Innen- und Außenpolitik, Militär und zivile Projekte müssen strategisch gehandhabt werden, damit unsere junge Zivilisation eine Chance hat, sich gegen die anderen Rassen durchzusetzen. Da gibt es die Craver, einst als Biowaffe entwickelt, jetzt ein Insektenschwarm, der ganze Planeten wüst und leer wirtschaftet, oder die Vodyani, religiöse FanatikerInnen, die fast ausschließlich auf ihren Raumschiffen leben und die Bevölkerung anderer Zivilisationen einfach absaugen, um aus ihrer Essenz neue, gigantische Schiffe herzustellen. Die Sophos, exzellente WissenschaftlerInnen und FreundInnen exothermer Reaktionen, wirken da fast schon 08/15. Die Lumeris, skrupellose HändlerInnen, die ganze Planeten kaufen und verkaufen, runden die ersten vier Rassen ab. Bis zum Release soll es insgesamt acht verschiedene geben, jede mit einer einzigartigen Geschichte. Diese wird in Ereignissen während des Spiels erzählt, wobei wir oftmals frei entscheiden können, wie wir handeln – sammeln wir zum Beispiel Daten durch das Erforschen neuer Systeme oder doch lieber, indem wir Wracks anderer Rassen analysieren? Und wenn es keine Wracks gibt, machen wir vielleicht einfach welche …
Politisches Ränkeschmieden
Endless Space 2 lebt von mehreren Systemen, die unmittelbar ineinander übergreifen, aber teilweise auch indirekten Einfluss aufeinander ausüben. Bringe ich zum Beispiel ein Gesetz durch, welches mehr Soldaten auf meinen Kolonien stationiert – vielleicht, weil ich eine gegnerische Invasion befürchte – so gewinnen die MilitaristInnen an Macht. Das mag den Einfluss anderer Parteien senken. Bei der nächsten Wahl kann die Verteilung der Sitze im Senat demnach vollständig anders sein. Vielleicht haben die Planeten, die ich beschützen wollte, gar die abgewählte Partei unterstützt, und rebellieren jetzt, wütend über das Wahlergebnis – jetzt habe ich zwei Herde zu löschen, die drohende Invasion und meine unzufriedene Bevölkerung. Spinnen wir den Faden weiter, so mag das rebellierende System vorher eine TouristInnenattraktion gewesen sein – mein Einfluss sinkt, und damit auch der diplomatische Druck, den ich ausüben kann. So bricht ein Imperium zusammen, obwohl ich eigentlich nur die besten Absichten hatte. Diese Interaktion ist keinesfalls nur theoretisch – sie ist der Grund, warum ich das erste Spiel verloren habe.
Mehr Planung, weniger Kampf
Die meisten Entscheidungen sind strategischer Natur: Welche Planeten besiedeln wir, welche Technologien erforschen wir, welche Gesetze schlagen wir vor. Das trifft auch auf die Kämpfe zu, welche auf mich zuerst etwas steril wirkten: Zwei Flotten treffen sich, jede Flotte wählt eine Kampfstrategie aus – Kampf auf lange, mittlere oder kurze Reichweite – und alles andere wird automatisch berechnet, mit der Möglichkeit, den Kampf als Animation zu beobachten. Hier hätte ich gerne rundenbasiert meine Schiffe bewegt, Ziele ausgewählt und Manöver geplant, so wie ich es aus meinem persönlichen Liebling der 4X – Master of Orion 2 – kenne. Ich tröste mich allerdings damit, dass das Kampfsystem noch am Anfang steht – Early Access und so – und dass die strategische Verteilung meiner Flotten eh schon eine Menge Planung und Geschick benötigt, was mich ausreichend fordert.
Zwar lebt das Spiel von den Entscheidungen, die wir treffen, aber auch Grafik und Sound müssen sich nicht verstecken: Die Galaxien sehen wunderschön aus, die Kämpfe sind ansprechend animiert – das Wort „cinematic“ fällt mehrfach in den Designdokumenten. Dazu hören wir passend epische Hintergrundmusik und trotz Vakuum die Laser und Raketen unserer Schiffe, wie sie in den Gegner einschlagen – oder anders herum, wenn es mal im Krieg nicht so gut läuft.
Immer wieder Neues
Generell lässt sich schwer sagen, wie sich das Spiel spielt. Die Sophos legen ihr Hauptaugenmerk auf die Wissenschaft und das Erforschen der Galaxie, während die Vodyani ihre Zeit damit verbringen, möglichst viel Bevölkerung zu stehlen, ohne einen Krieg zu provozieren – die Spielstile sind so grundverschieden, dass sich jede Runde frisch und anspruchsvoll anfühlt, wozu auch die Zufallsereignisse einiges beitragen. Ich sehe mich noch lange Zeit im Bann des Weltraumes, und schon in einer so frühen Version ist dieses „Nur noch ein Zug“-Gefühl vorhanden – es gibt kaum eine langweilige Runde, und so wird aus „In 10 Minuten mach ich aus und geh einkaufen“ durchaus ein „Wie, Mittwoch, war nicht gerade noch Montag?“ Ich persönlich verzeichne inzwischen 16 Stunden Spielzeit und habe keine Ambitionen, das Spiel zu deinstallieren. Für StrategiefreundInnen lohnt es sich sicher, den Titel im Auge zu behalten.
Und meine langsam in Chaos verfallende Zivilisation? Die habe ich alleine verenden lassen und sofort ein neues Spiel angefangen. Diesmal als Insekt mit einer besorgniserregenden Vorliebe für Schusswaffen. Zumindest hat eine Schwarmintelligenz weniger Ambitionen, gegen mich zu rebellieren. Mal sehen, wie es sich so als Kriegstreiber lebt. Ich hab noch etwa eine halbe Stunde, dann mach ich aus und geh einkaufen …
Endless Space 2 ist ab sofort bei Steam im Early Access erhältlich.
Das Spiel wurde freundlicherweise kostenlos zu Reviewzwecken zur Verfügung gestellt.
Gastautor :Patrick Gerk
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