Ist man erst einmal in den Bann der schönen Insel geraten, kann man sich nur schwer von ihm lösen. Zu groß ist der Sog, der in den Prospekten abgebildeten großartigen, menschenleeren Landschaften, die den geneigten LeserInnen das Bild von Freiheit und Unabhängigkeit vermitteln. Dass dieser Eindruck, von der Branche häufig bemüht, trügen kann, mag sich Reiseerfahrenen noch erschließen, der durch die Menschenmassen in der subarktischen Flora und Fauna entstehende Schaden jedoch nicht auf den ersten Blick.
Die vor allem seit 2012/13 explodierenden TouristInnenzahlen lassen aufkommende Probleme bereits erahnen. So tauchten in isländischen Facebook-Gruppen (nahezu jedeR IsländerIn ist dort angemeldet) oder auch Zeitungen in den letzten Jahren immer häufiger Berichte über rücksichtlose TouristInnen, den negativen ökologischen Folgen des Tourismus oder der unter IsländerInnen schleichend ansteigenden Tourismusmüdigkeit auf. Die einst charmante „Irgendwie schaffen wir das schon“-Einstellung vieler IsländerInnen ist leider einer kühlen Professionalität gewichen.
Sturm auf die Insel
Schätzungen für das Jahr 2016 gehen von bis zu 1,8 Millionen TouristInnen aus, einem Anstieg von 40 Prozent in einem Jahr. Alternative Quellen sprechen von dieser Zahl bereits für 2015. So verwundern die Menschenmassen an den touristischen Hotspots und Bilder von Wandernden im Entenmarsch nicht.
Gespräche mit IsländerInnen über den Tourismus werden meist von denselben Themen und Problemen bestimmt. Durch die kurzen isländischen Sommer und Vegetationsphasen, welche nur drei bis vier Monate lang sind, werden die menschlichen Spuren immer deutlicher sichtbar. Nicht überraschend, dass man oft noch Klopapier aus dem Vorjahr neben den Straßen entdeckt. So beschweren sich AnwohnerInnen im Süden der Insel immer häufiger, dass ein Betreten vieler kleiner isländischer Wäldchen nicht mehr möglich sei, ohne in Exkremente der letzten WildcamperInnen zu treten. Auch das vor allem durch die isländischen Autovermietungen suggerierte Offroad-Fahren jenseits der Piste wird mit immer höheren Strafen jenseits der 1.000 Euro geahndet. Abhalten lassen sich viele dennoch nicht, sodass einmal entstandene Spuren in der empfindlichen Natur noch über Jahrzehnte zu sehen bleiben oder zu metertiefer Erosion führen. Auch das Verbot aus dem letzten Jahr für Nicht-Wandernde, wild zu campen, zeigte bisher kaum Wirkung.
Platzmangel für Alle
Gemeinden wie das beschauliche Vik kämpfen mittlerweile mit dem Problem, keine Unterkünfte für die Saisonangestellten zu finden. Erst kürzlich wurde daher ein Verbot der Plattform Airbnb beschlossen – andernfalls hätten zahlreiche Gasthäuser schließen müssen. Die momentan durch den Tourismusboom rasant stattfindende Gentrifizierung Reykjaviks ist kaum noch aufzuhalten.
Ob die kürzlich angekündigte touristische Offensive „Iceland – All Year-round“ („Ísland – allt árið“) angesichts des Insel-Wetters dem Land gut tun wird, darf zumindest bezweifelt werden. Aber irgendwie werden die IsländerInnen „es schon schaffen“. Áfram Ísland!
Gastautor :Dirk Loose
promoviert an der RUB in Chemie und war schon oft auf Island
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