„Schwanensee“ ist nicht erst seit „Black Swan“ auch nicht-Tanzbegeisterten ein Begriff. Am 29. Februar 2016 gastierte das Russische Nationaltheater Moskau mit diesem Ballett im RuhrCongress und ließ das Publikum teilhaben an der dramatischen Liebesgeschichte zwischen dem Prinzen Siegfried und der Prinzessin Odette, die vom bösen Zauberer Rotbart in einen Schwan verwandelt worden war. Zusammen mit den GewinnerInnen unserer Facebook-Verlosung stürzten sich :bsz-Redakteurinnen Kasia und Stefanie ins Abenteuer Ballett.
Das Licht geht aus. In der dunklen Halle breiten sich Tschaikowskys fantastische Klänge aus und lassen einen fast vergessen, dass es sich beim RuhrCongress nicht um einen klassischen Theaterraum handelt. Aber nur fast. Die eher industrielle Ausstrahlung des Ortes prägte den ganzen Abend und bildete einen spürbaren Kontrast zur märchenhaften Atmosphäre des Balletts. Die Bühne selbst ragte wie ein kleines Stück Fantasie aus der nüchternen Bestuhlung (übrigens bei weitem nicht so bequem wie Theatersitze normalerweise sind!) heraus. Eingerahmt war sie von stilisierten Laubvorhängen, im Hintergrund eine gemalte Wasser- und Bergwelt mit einem Disney-esquen Märchenschloss.
Vor dieser Kulisse erfüllte das berühmte Russische Nationaltheater Moskau das romantische Handlungsballett mit Leben. In vier Akten ging es auf eine getanzte Reise in die Vergangenheit, schließlich erfindet sich das Ballett nicht bei jeder Inszenierung komplett neu und so stammen viele Elemente aus der bis heute maßgeblichen Inszenierung von 1895. Die damaligen Choreographen Marius Petipa und Lew Iwanow werden so auch aktuell noch im Programmheft mit aufgeführt – zusammen mit Juri Grigorovich, der dem Ballett 1984 ein anderes (nicht-tragisches) Ende verpasste …
Wie tanzt man eine Handlung?
Es scheint keine leichte Aufgabe zu sein, nur mittels Musik, Tanz, Kostümen und wenigen Requisiten eine Handlung auf die Bühne zu bringen und sie verständlich zu präsentieren. Dies gelang dem Ensemble aus Moskau jedoch ohne Probleme. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Spielfreude erfüllten sie die Liebes- und Verwechslungsgeschichte mit Leben. Aber worum geht es bei Schwanensee eigentlich – außer um die Schwäne?
Ein kurzer Handlungsüberblick: Die Hofgesellschaft feiert die Volljährigkeit des Prinzen Siegfried. Dieser soll sich am nächsten Tag auf einem großen Ball nach einer Frau umsehen, gibt ihm die Königin zu verstehen. Nachdenklich folgt der Prinz nach dem Fest einem Zug Schwäne zu ihrem See, der im Reich des Zauberers Rotbart liegt (Ende Akt 1). Dort treffen der Prinz und die Schwanenkönigin aufeinander, die sich als verzauberte Prinzessin Odette entpuppt. Nur, wenn ihr ein Mann ewige Treue schört, während sie in menschlicher Gestalt ist, kann der Zauber gebrochen werden. Siegfried leistet den Schwur und bittet sie zum Ball, jedoch kann Odette den Bannkreis Rotbarts nicht verlassen (Ende Akt 2). Am nächsten Tag auf dem Ball taucht der Zauberer dann mit seiner als Odette verkleideten Tochter Odile auf und täuscht den Prinzen; dieser leistet Odile einen Schwur und verdammt durch seinen Eidbruch Odette dazu, ewig ein Schwan zu bleiben. Er erkennt seinen Fehler (Ende Akt 3) und bittet Odette um Verzeihung. Obwohl sie ihm vergibt, ändert das nichts am Ergebnis. Rotbart und Siegfried kämpfen und als der Prinz den Zauberer besiegt, ist seine Macht gebrochen und die Liebenden bekommen ihr Happy End.
Die tänzerische Leistung des Ensemble war auf jeden Fall beeindruckend – sowohl die der SolistInnen als auch in den Gruppenszenen. Weltweit eines der besten Ensembles, hat das Russische Nationalballett Moskau eigene Ausbildungsstätten mit über 70 TänzerInnen und international renommierten Ballett-PädagogInnen. Sein Fokus liegt darauf, neue Talente aufzubauen sowie die nationale Tradition bedeutender russischer Ballettstücke zu pflegen – und das merkt man.
Auch ohne Ballettfachkenntnisse konnte man die präzisen, kraftvollen Bewegungen nur bewundern, mit denen die TänzerInnen fast schwerelos über die Bühne schwebten. Tatsächlich stellt dieses Stück nicht nur hohe technische Anforderungen an die DarstellerInnen sondern auch schauspielerische. Alleine die Doppelrolle Odette / Odile, in der sowohl lyrisch-leichte als auch die dämonisch-dramatische Aspekte gefordert sind ist eine Herausforderung für jede Ballerina. Die Schwäne mit ihren anmutigen Armbewegungen, die an Flügelschläge erinnern, sind zurecht ein Abbild dessen, was sich viele Laien und „echtem“ Ballett vorstellen – und waren auch in dieser Aufführung überzeugend dargestellt.
Allgemein fällt es schwer, einzelne Beispiele für die Qualität der Aufführung herauszupicken – eigentlich war alles atemberaubend anzusehen. Persönliche Highlights waren allerdings unter anderem, wie die Anmut der Szenen am Hof durch die komischen (und technisch äußerst beeindruckenden) Einlagen des Hofnarren aufgelockert wurde. Beachtlich war auch der Tanz der vier kleinen Schwäne, der so synchron wirkte, als wären die Tänzerinnen ein einziges Wesen.
Der abschließende dramatische Kampf zwischen Rotbart und dem Prinzen endetet entgegen des ursprünglichen Librettos mit dem Tod des Zauberers. Die beiden Liebenden lagen sich beim Happy End metaphorisch in den Armen – tatsächlich tanzten sie ihre Freude heraus. Klischeehaft ging dann die Sonne über der Bühne in Form eines Scheinwerferkegels auf. Das Publikum war begeistert und bedachte die TänzerInnen mit großzügigem Applaus.
Genuss trotz kleiner technischer Abstriche
Tschaikowskys fantastische Klänge berührten die ZuschauerInnen; das Vergnügen war jedoch durch die Musikanlage zeitweise gedämpft: Gerade bei den dramatischeren und lauten Klängen war ab und an ein leichtes Kratzen oder Scheppern zu vernehmen. Musik vom Band ersetzt nun mal kein Live-Orchester. Auch die Nebelwerfer, die optisch eine beeindruckende und mystische Atmosphäre auf der Bühne zauberten, stellten für den vorderen Teil des Publikums irgendwann eine leichte Geruchsbelästigung dar. Zudem schien es Probleme mit dem Licht zu geben: So waren teilweise an den Seiten Leinwände angeleuchtet, auf denen man deutlich die Schatten der Lautsprecher abgebildet sah, was leider vom Geschehen auf der Bühne abgelenkt hat. Außerdem dauerte es relativ lange, bis zur Pause und am Ende des Stückes die Lichter angingen, so dass die ersten ZuschauerInnen die Halle im Dunkeln verlassen mussten.
Skurril war auch, dass es in der Pause neben den gängigen Erfrischungen wie Sekt, Softdrinks und Brezeln tatsächlich auch Currywurst gab. Charmant zur Location passen oder doch eher unangebracht – diese Frage hat sich an dem Abend sicher der/die Eine oder Andere gestellt.
Wenn man die kleinen Abstriche bei Ton, Beleuchtung und Umgebung außen vor lässt, war es ein durchaus gelungener Ballettabend, der in eine tänzerische Märchenwelt entführte. Im Zusammenspiel mit der industriellen Umgebung wurde so für das Publikum ein Fenster in eine andere Welt kreiert, die man zwar sehen aber an der man nicht teilhaben konnte.
0 comments