Ein Kommentar, der FlüchtlingshelferInnen kritisiert, ist in der vergangenen Woche durch die Medien gegangen. Autor ist der deutsche Schriftsteller und Kabarettist Serdar Somuncu, der in seinem Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche die derzeitige Anteilnahme mit Flüchtenden als ein „Sebstdarstellungsspektakel“ bezeichnet und sich fragt, warum man vor Kurzem noch „gegen Ausländer“ war und nun auf einmal Vielfalt „super“ fände.
Gutes schätzen oder abwerten
Ich finde: Das ist tatsächlich eine interessante Frage. Eine Analyse der möglichen Gründe wäre sicherlich hilfreich – vor allem, um zu verstehen, wie dieses plötzliche, beispiellose Engagement unserer Zeit zustande kommt, das „selbst“ die Ice Bucket Challenge übertrifft, mit welcher Somuncu das derzeitige ehrenamtliche Engagement vergleicht.
Gib dem Menschen (k)eine Chance
Moment – könnte das an der erhöhten Anzahl an Flüchtenden liegen, die derzeit Schutz bedürfen? Entwickelt sich etwa ein Verständnis seitens der zuvor kritischen BürgerInnen gegenüber Flüchtenden – nun, wo sie mitbekommen, dass auch andere Nationen diesen helfen und dabei sogar wesentlich mehr aufnehmen als das wohlhabende Deutschland? Vielleicht ist ihnen auch bewusst geworden, dass in den Ländern, aus denen Geflüchtete kommen, tatsächlich Krieg und nicht „nur“ Armut herrscht.
Ice Bucket Challenge gegen Flüchtlingshilfe: 0:1
Denn im Gegensatz zur Ice Bucket Challenge, in der das dazu produzierte Video im Vordergrund steht, werden derzeit zugunsten der Flüchtenden Kleiderkammern eröffnet, Veranstaltungen organisiert, Unterkünfte geschaffen und sogar neue Vereine gegründet.
Serdar Somuncu hat wahrscheinlich nicht mitbekommen, dass diese Dinge heutzutage in den sozialen Medien mitgeteilt werden, um weitere potenzielle HelferInnen zu mobilisieren. Wer meint, mit seinem/ihrem Engagement in der Flüchtlingshilfe angeben zu können, hat, finde ich, das gute Recht, sich sogar so heftig und so lange mit ihrer Tätigkeit zu brüsten, bis er oder sie durch die Akkumulation von Stolz und Anerkennung längerfristig bei der Sache bleibt.
:Anna-Eva Nebowsky
Die Ratio in Gefahr
Manches gesellschaftliche oder tagespolitische Thema schafft es, in den sozialen Netzwerken viral zu gehen. Noch immer sind viele Profilbilder auf Facebook mit einer Regenbogenflagge bedeckt, weil die USA vor drei Monaten die Homo-Ehe legalisiert haben. Derzeit ist es die aktuelle Geflüchtetendebatte. Anders als die Homo-Ehe haben die AsylbewerberInnen hierzulande aber viele laute Feinde. Dumme „Wir wollen keine Überfremdung“-Postings (Was für Leute kenne ich eigentlich?, fragt man sich bisweilen verwundert) wechseln sich in der Timeline mit uneingeschränktem „Refugees Welcome“ ab. Der Ton wird auf beiden Seiten immer drängender und nicht nur von rechts bisweilen aggressiv.
Wer sich nicht solidarisiert, muss kein Nazi sein
Denn, und da setzt Serdar Somuncus Kritik zu recht an, wer eigentlich keine Meinung hat, aber nicht als rechter Vollpfosten gelten möchte, fühlt sich auf einmal ungeheuer solidarisch mit den Geflüchteten. Seid umschlungen, Millionen oder wie viele Ihr auch seid. Ist auch egal, kommt alle her, denn Ihr seid ausnahmslos alle arm dran und willkommen! Besser, man bekundet mit ein paar Likes seine Solidarität als gar nichts zu einem Thema zu sagen, das einen bisher nichts anging.
Eine Ursache dafür sind diejenigen, denen das Thema schon immer etwas wichtiger war und die nun nur allzuoft alle AsylbewerberInnen unter Generalmitleid stellen. Gleichzeitig unterstellen sie jenen rechte Tendenzen und Unmenschlichkeit, die wichtige Fragen stellen wollen wie „Können wir uns die Aufnahme aller Menschen wirklich leisten?“ oder „Wie finden wir eine gerechte gesamteuropäische Lösung?“
Engagement zu verurteilen, ist kein feiner Zug; den vielen Engagierten nur Selbstdarstellung zu unterstellen, fragwürdig, Herr Somuncu. Aber ich sehe auch die vielen, die Sie meinen, die sich als engagiert verstehen, wenn sie unreflektiert mitsolidarisieren. Die Polarisierung in Dafür und Dagegen, ohne Platz für ein „Moment mal“ hat noch nie gutgetan.
:Marek Firlej
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