„Ich habe gesprochen“: Und das sehr viel, wenn der bedeutendste politische Gegenwartsphilosoph zu Gast ist. Bei der phil.Cologne – dem internationalen Festival der Philosophie – philosophierte der marxistische Star-Theoretiker über den Kapitalismus, die Revolution und Plastikvaginas.
Spätestens nach einer Stunde merkt Moderator Wolfram Eilenberger, dass sich sein Gegenüber so langsam in Rage geredet hat. Vorsichtig versucht er, dazwischen zu haken. Der slowenische Philosoph blockt mit einem Satz ab, den er an diesem Abend im Kölner WDR-Funkhaus noch öfters sagen wird: „Wait a minute“ – und führt seinen Gedanken aus: Ein wilder Mix aus hegelscher Dialektik, lacanscher Psychoanalyse und marxistischer Ideologiekritik. Was sonst? Eigentlich will Eilenberger nur darauf hinweisen, dass Žižek noch nicht weit mit seinem Manuskript gekommen ist. Dieses hat er mit dem Titel „Mehr Entfremdung, bitte! Karl Marx und der Geist der kommenden Revolution“ extra für diesen Abend geschrieben. Auf Eilenbergers Vorschlag, nun daher mit der Diskussion weiterzumachen, geht er nicht ein: „No, let me continue.“ Um dann nach wenigen gelesenen Zeilen doch wieder frei zu reden.
„Ich würde meine Mutter töten, um Teil dieser Bewegung zu sein“
Die kurze Redezeit nutzt Eilenberger dann doch, um mit Zwischenfragen eine Linie in Žižeks wilde Assoziation zu bringen. Da läuft die Denkmaschine schon, Zitate werden in den Saal geworfen, bewährte Witze zum besten gegeben. Entsprechend sprunghaft sind seine Gedanken: Von der Entfremdung, die er viel dialektischer und pointierter als Marx selbst als notwendigen Prozess darstellt, kommt er schnell zur Ideologiekritik: „Die gefährlichste Entfremdung ist die, die als Freiheit wahrgenommen wird.“
Nicht nur zählt der Philosoph Phänomene einer prekarisierten Arbeitswelt mit befristeten Verträgen und Niedriglohnjobs auf, sondern erwähnt auch: „das wird als neue Stufe Deiner Freiheit erwähnt“, hinzu kommt der soziale Imperativ „You have to enjoy.“ Dem müsse man sich entziehen.
Um Widerstandsmöglichkeiten zu eröffnen, erzählt er aus dem eigenen Sexleben: Nach einer Party geht er mit einer Frau nach Hause. Sie hat einen Dildo dabei, er eine Plastikvagina. Die Geräte werden ineinander gesteckt und eingeschaltet. Währenddessen können die beiden miteinander reden. „Ein Beispiel für nicht-entfremdeten Sex heutzutage“, so der Philosoph. „Wir Marxisten lernen aus dem Leben“.
Žižek in Aktion: lachen und lernen
Welche Schlüsse man aus seinen zahlreichen Witzen ziehen soll, sei dahin gestellt – pointiert und originell sind seine Gedanken und Beispiele trotzdem. Auch wenn es um die Frage der Revolution geht: Wann kommt sie denn nun? Und wie wird sie aussehen? An einen bevorstehenden Bruch des Kapitalismus glaubt Žižek nicht. Vielmehr sieht er die Gesellschaft in einer nach-revolutionären Phase – ein Grund warum er auch in seinem jüngsten 1.400-Seiten-Buch „Weniger als Nichts – Hegel im Schatten des dialektischen Materialismus“ eine Rückkehr von Marx zu Hegel fordert. Begeistert ist er aber von der Revolutionssequenz im Film „V for Vendetta“: „Ich würde meine Mutter töten, um Teil dieser Bewegung zu sein.“
„Mr. Žižek …“, versucht Eilenberger noch mal nach zu haken. Da ist sein Redefluss kaum noch zu unterbrechen: „Why do you call me Mr. Žižek? – Say Genosse Slavoj …“ Und es wird munter weiter philsophiert: Er gestikuliert wild; das T-Shirt ist durchnässt. Sein Manuskript hat er da schon längst zur Seite gelegt.
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