Es scheint so unschuldig, wie sie da am Strand liegen: Ein paar Jugendliche, schlummernd, gelangweilt – vor allem: angespannt. Man trinkt Dosenbier, döst unter der blassen Sonne oder tobt in den leichten Ostseewellen, kommt sich näher – auch Eifersucht schwingt mit. Den Schlummernden wird mit Sonnencreme auf die Stirn gemalt – ein Hakenkreuz. Eine ätzende Leere, eine gespenstische Ruhe vor dem Sturm.
Denn noch am Abend bricht sich der Frust Bahn. Die Bilder sind bekannt: Am 24. August 1992 entlädt sich der Hass in einer unfassbaren Gewaltorgie. Ein Mob von etwa 2.000 Menschen skandiert vor einem AsylbewerberInnenheim in einer Plattenbausiedlung rassistische Parolen. Im Gebäude bangen vietnamesische GastarbeiterInnen, darunter Familien mit vielen Kindern (die schon zu DDR-Zeiten zugezogen waren), um ihr Leben. Draußen versucht nur ein Trupp PolizistInnen, die Menschen vor den „PatriotInnen“ zu schützen. Dann zieht die Polizei (tatsächlich die gleichen Freunde und HelferInnen, die sonst so fleißig und loyal unter dem Decknamen Mos maiorum „ihrem Job“ nachgehen, wenn‘s um Geflüchtete geht) einfach ab. Der Pogrom ist eröffnet, Molotowcocktails fliegen, bis das Gebäude schließlich in Flammen steht – unter frenetischem Beifall der Pegida-Prototypen. Harald Ewert besorgt die rechte Ikonographie: Im Weltmeister-DFB-Trikot und bepisster Joggingbuxe zum Hitlergruß. Es herrscht Euphorie, an der Imbissbude gibt’s feierlich Freibier für den Volkssport.
Unzureichende Erklärungsansätze, fesselnde Chronik
Was man Qurbanis Film zugute halten muss: Er ist glücklicherweise kein pädagogischer Problemfilm, keine der sonntagabendlichen ARD-Moralkeulen, bevor dann Günther Jauch die Erörterung übernimmt. Die einzige Antwort, die der Film anbietet, ist der Sog von Leere und Perspektivlosigkeit, eine ernüchternde wie zermürbende Katerstimmung nach der „Wende-Party“ – was tun mit der Zeit, wenn es keine Perspektiven gibt, der Alltag von Arbeitslosigkeit und Rassismus geprägt ist?
Qurbani rekonstruiert die Ereignisse als Chronik – beklemmend und hitzig; das verstärkt nicht zuletzt auch die Schwarz-Weiß-Optik, die an Mathieu Kassovitz‘ sozialrealistischen „La Haine“ („Der Hass“) erinnert. „Wir sind jung …“ ruft die Ereignisse von Lichtenhagen wach. Ein Streifen, der eigentlich ein Erinnerungsstück sein will, es aber vor dem aktuellen politischen Hintergrund nicht sein kann. Denn das Gespenst von Lichtenhagen, es spukt wieder auf den Straßen Deutschlands. Qurbanis Film gerät daher ganz anders: Ein Stück aufrüttelndes, brandaktuelles Gegenwartskino.
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