„Mach kaputt, was dich kaputt macht“, hat der gute Rio Reiser mal gegrölt. Könnte das auch die Auffassung mancher Fußballfans sein? Zumindest gibt es den gegenseitigen Vorwurf: Die da machen den Fußball kaputt, die einen mit Kommerzialisierung, die anderen mit Gewalt und Pyrotechnik auf den Rängen. Letztere oft in Stadien abgerutschter Traditionsclubs wie Rot-Weiß Essen oder Rot-Weiß Oberhausen. Bei neureichen Clubs wie Leipzig oder Hoffenheim bleibt die Gewalt scheinbar aus. Das stimmt nicht immer, sagt zumindest RWE-Chef Michael Welling im Gespräch mit der :bsz.
Beste Derby-Stimmung im Niederrhein-Pokal-Finale zwischen RW Essen und den MSV Duisburg. Doch nach der Halbzeit kippt die Stimmung: Aus dem MSV-Block fliegen Bengalos aufs Spielfeld, auf der Essener Seite versuchen Chaoten, ein Tor zu öffnen, um auf den Platz zu gelangen, schließlich schickt die Polizei fünf Hundertschaften auf den Rasen. Nur mit massivem Polizeiaufgebot am Spielfeldrand kann der Pokalhit nach längerer Unterbrechung zu Ende geführt werden. Keine seltene Szene für Aufeinandertreffen von Traditionsvereinen in unteren Ligen – egal ob Ost oder West.
Oben Glamour, unten Gewalt?
In den vergangenen Wochen hat die :bsz ausführlich über verschiedene Aspekte des Fußballs berichtet – immer mit der provokanten Frage im Hintergrund: „Geld schießt Tore, Tradition wirft Bengalos?“
Doch stimmt es wirklich, dass die Bundesliga nur aus geldverliebten Retorten-Vereinen besteht, die mit Tradition wenig zu tun haben und gleichzeitig Traditionsvereine wie RW Oberhausen oder RW Essen in der Versenkung verschwunden sind und nur noch mit Ausschreitungen und Bengalos auf sich aufmerksam machen, statt mit Erfolgen für positive Schlagzeilen zu sorgen?
Michael Welling, Vereinschef von RWE widerspricht diesem Schema gegenüber der :bsz: „Ich halte das für eine verkürzte, an der Realität vorbeigehende Darstellung. Ich denke, dass wir alle im Fußball mit Problemen von Fangewalt zu kämpfen haben. Es gibt auch, wenn Dortmund oder Schalke spielt, Probleme mit den Fans. Wir haben das in der ersten Liga genauso wie in der ersten, zweiten, dritten oder vierten Liga.“
Indikatoren der Traditionen
Sicherlich haben es viele der altehrwürdigen Vereine wie Rot-Weiß Essen, VfL Bochum, Arminia Bielefeld oder Hansa Rostock nicht geschafft, den Anschluss nach oben zu halten – sei es durch zu große Konkurrenz, Missmanagement oder einfach durch Pech. Den Fans dieser Vereine der unteren Ligen dann übermäßige Gewaltbereitschaft vorzuwerfen, wäre ebenso fatal wie falsch, sind doch in der Bundesliga aufgrund der verschärften Sicherheitsvorkehrungen einfach bessere Möglichkeiten vorzufinden, um Gewalt entgegenzuwirken.
Zumindest Welling sieht da auch die Medien in der Schuld: „Die Medien stürzen sich natürlich gerade auf Dritt- oder Vierligisten, wenn da mal was passiert – oft in verkürzter Darstellung. Das ist dann tatsächlich eine Meldung wert, während die sportlichen Themen dann in den Hintergrund rücken, weil das Sportliche in den höheren Ligen medial komplett überdominiert wird.“
Letztendlich bleibt Gewalt in allen Ligen ein Thema, nur kommt sie vielleicht nicht immer so zum Vorschein und wird gerne einmal von den großen Vereinen ausgeblendet. In Fußball-Deutschland wird die Diskussion darüber aber wohl weiter gehen.
:Benjamin Trilling und :Tim Schwermer
:bsz-Reihe: Geld schießt Tore, Tradition wirft Bengalos?
„Die machen den Fußball kaputt!“
…das warf man sich jüngst vor, als das DFL-Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ Ende letzten Jahres verabschiedet wurde und zahlreiche Proteste in den Stadien nachsichzog. Fans warfen den Liga-Verantwortlichen, Sponsoren und Polizei vor, mit übertriebenen Kontrollvorlagen die Fankultur zu ersticken. Im Gegenzug werden die Leute auf der Tribüne dafür kritisiert, für Krawalle zu sorgen: Platzstürme, Hasstiraden und fackelnde Bengalos im Block und auf dem Rasen – König Fußball erscheint als Symptom für gesellschaftliche Widersprüche. Deutschland ist Weltmeister, aber von Burgfrieden ist weit und breit nichts zu sehen; stattdessen wird die Fangemeinde hierzulande polarisiert: Mäzenate, Retortenvereine und die allgemeine Kommerzialisierung des Profifußßballs sorgen dafür. Auf der anderen Seite sehen wir einen alltäglichen Existenzklampf der Traditionsvereine: Legendäre Clubs wie Rot-Weiss Essen, MSV Duisburg oder Rot-Weiß Oberhausen (,um nur wenige zu nennen) stehen oder standen am Rande des Abgrunds. Aber was, wenn alles durchkommerzialisiert ist? Wenn ein Stadion dem anderen ähnelt? Fangesänge der eigenen Mannschaft nicht mehr von den gegnerischen Chören zu unterscheiden sind? Wir wollen fragen: was kommt? Was bleibt? Wie wird er aussehen, unser Fußball: Eine Eskatase nach Feierabend oder routinierter Arbeitssieg? Das Beben der Kurve oder die Dekadenz der VIP-Tribüne? Das Singen der eigenen Chöre oder stumpfinniger Werbeterror? Nostalgie oder Erneuerung? Wahrheit oder Kommerz?
Bisher in dieser Reihe
:bsz 1011 — „Fußball in Zeiten der Krim-Krise“ über den Fußball in der Ukraine und Russland
:bsz 1013 — „Geld verleiht Flügel“ über Red Bull Leipzig
:bsz 1015 — „Echte Liebe zum Geld“ über die Kommerzialisierung der großen Ruhrpottvereine
:bsz 1017 — „Bochum, ich komm aus DIr!" über das Buch „111 Gründe, den VfL Bochum zu lieben“
:bsz 1019 — „Frauenfrei in die Bundesliga“ über das Aus der Frauenabteilung des VfL Bochum
:bsz 1021 — "We can be heroes, just for one day!" über die Bochumer Kreisliga
:bsz 1024 — "Vom Bayernjäger zum Schlusslicht" über die Krise beim BVB
:bsz 1025 — „Ohne Rot-Weiß Essen wäre Deutschland nie Weltmeister geworden“ über den Traditionsclub RWE
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