Schon bei der Begrüßung geht der Battle los: „Ich bin heute schon um 4 Uhr 30 aufgestanden“, verrät mir Sebastian23 beim Handschlag. „Mit Mütze?“, frage ich nach. „Na klar – ich arbeite mit Mütze, schlafe mit Mütze, stehe mit Mütze auf!“, gibt der Mützenmann zurück. „Um 16 Uhr 30?“ „Ich bin doch kein Langzeitstudent“, ist sich der Poetoholic sicher. Am Vortag hatte er einen Auftritt in Göttingen und gleich am nächsten Morgen um acht einen Workshop in Unna. Am Abend dann moderiert der 35-jährige Slampoet und Comedian gewohnt wortwitzig und tiefenscharf den vom AStA-Kulturreferat organisierten CampusSlam im KulturCafé, das auch im siebten Semester der Veranstaltungsreihe wieder bis auf den letzten Platz gefüllt ist.
Die mediale Aufmerksamkeit wächst ebenfalls: So berichtet auch der Dortmunder Campussender Eldoradio mit einer Interview-Einspielung vom Bochumer CampusSlam. Wie immer gibt Sebastian23 zum Auftakt einen „Opferlamm-Text“ zum besten: Kapitel 23 aus seinem aktuellen Buch „Theorie und Taxis“ – wie passend für einen ehemaligen Philosophie-Studenten. „Woran erkenne ich Arbeit und wie umgehe ich sie unauffällig“, lautet das Leitmotiv des Textes, dessen chronisch arbeitsscheuer Protagonist von permanenter „Angst vor dem Burnout-Syndrom“ getrieben wird. Aufgefallen ist dennoch, dass der Moderator das Motto allzu wörtlich nimmt und dieselben Texte liest wie schon bei seiner Buchvorstellung im KulturCafé am 29. Oktober.
Angst vor der Arbeit und der Liebe
Der erste Wettbewerbsbeitrag schließt gleich an das Thema Angst vor der Arbeit an: Mitreißend rappt der Kölsche Zwergriese drei „Lebensentwürfe“ zwischen der Malocher-Trias „Chillen – Fressen – Schlafen“ über den Studi-Dreisatz vom „Bachelor – Master – und danach so'n scheiß Job“ bis hin zum „KreaTIEF“ als Burnout-Tiefpunkt einer Künstlerkarriere. Leider verpasst der Kölner den Finaleinzug – die siebenköpfige Publikumsjury des heutigen Abends und ich werden sicherlich keine Freunde. Die Angst vor der Liebe macht die schließlich Viertplatzierte und beste Frau im zehn StarterInnen starken TeilnehmerInnenfeld zum Hauptthema: „Wir halten die Liebe für Verletzlichkeit“ und „schützen uns mit Unverbindlichkeiten vor emotionalen Verletzlichkeiten“, mahnt Coo in ihrem Text „Frühstück ist fertig“. „Das Schlimmste im Leben heißt, die Hoffnung auf die Liebe aufzugeben“, heißt es am Ende. Eine Steilvorlage für eine Zwischenmoderation von Sebastian23: „Das Zweitschlimmste ist, das Handy in dieser Veranstaltung anzulassen.“ Einen ähnlichen Ton wie Coo hatte zuvor die Slammerin Albana Kelmendi in ihrem Text „Maskenball“ angeschlagen, in dem sie „die uns aufgedrückten Masken hinterfragen“ will: „Wir wollen Kind sein – und erwachsen, irgendwann. […] Ist das nicht paradox – vor sich selber Angst zu haben?“ Engagiert wendet sie sich in ihrem Beitrag gegen Altersdiskriminierung und Homophobie.
Dopamin-Vorratslager
Letzteres macht auch der Gelsenkirchener Sven Hensel, der zweite Sieger des Abends zum Thema; zunächst aber bringt er eine geballte Glücksdosis mit ins KuCaf: „Gibt es Glück auch in Demokratien / in Anarchien / im Kommunismus?“, fragt er in seinem Text „Für Thunfisch“ („For Tuna“), der neben dem Glück dem Sieger der beiden letzten CampusSlams, Tuna Tourette, gewidmet scheint. Dann aber geht es doch um Privates und Politisches: Während Merkel 'nen Maulkorb bekommt, wünscht der Slam-Romeo seiner Julia „'n Vorratslager für dat ganze Dopamin“ – eine Hommage an die Bremer Slammerin Julia Engelmann. Im Finale bricht Sven mit „Flugzeuge“ dann eine Lanze für gleichgeschlechtliche Liebe: „Du willst keine Flugzeuge im Bauch – Du willst einfach nur Liebe“, wirbt er dafür, Geschlechterstereotype infrage zu stellen und mit zwischenmännlichen Gefühlen nicht hinterm Berg zu halten. Auf dem dritten Platz landet derweil Luke Sky Wodka mit einem Text über „Wortbalken, an denen sich Sätze erhängen“, nachdem er mit seinem Beitrag „Über die Männlichkeit“ das Finale erreicht hat, in dem gleichgeschlechtliche Liebe aus einer anderen Perspektive betrachtet wird: „Es ist nicht so, dass ich was gegen Schwule hätte – sie stehen nur nicht ganz oben auf meiner Nahrungskette“, outet sich der Protagonist nach einem ungewollten Stelldichein mit einem Transsexuellen. Auch die virtuelle Kommunikation hat jedoch ihre Tücken: Dies erfährt der Protagonist, der eigentlich viel lieber reden möchte, in „Chatten mit Lorena“ – einem Beitrag von Kai Aschenbach über „die diffuse Kommunikationsstruktur im 21. Jahrhundert“: „Ich kann nicht schreiben“, schrieb ich. Am Ende steht die glorreiche Erkenntnis: „Wenn Reden Silber ist und Schweigen Gold, dann ist Schreiben höchstens Bronze.“
Vom deutschen Glücksrad, der Eltern-NSA und anderen „guten Sachen“
Auch andere Beiträge stechen an diesem Abend heraus und hätten den Finaleinzug verdient. So etwa Sean Bü (gesprochen „Schoan Bü“), der aus seiner Rapper-Verseschmiede seinen Text „Deutsches Glücksrad – ich kaufe ein Ü“ performt: „Ich finde in der deutschen Sprache genauso viele Ü's wie in der türkischen.“ Am Ende steht die derb formulierte Hoffnung, dass die virtuose Wortkaskade des Dorstener Deutschtürken nachhaltige Spuren beim Publikum hinterlässt und die interkulturelle Brücke trägt: „Ich hoffe, dass es endlich fruchtet und Euch aus der Scheiße wuchtet! / Yeah – Bochum: Fühlt Euch geburnt!“ Treibgut-Autorin Felicitas Friedrich, die zum dritten Mal beim CampusSlam dabei ist, schneidet ebenfalls ein kulturkritisches Thema an: Ihr Beitrag „Es geht hier ja schließlich um eine gute Sache“ stellt (vermeintliche) Non-Profit-Organisationen und den moralinsauren Erfolgsdruck auf SpendensammlerInnen in den Fokus, die den Druck an ihr laufendes Publikum in Deutschlands Fußgängerzonen weitergeben: „Keine Angst (…), wir wollen nur Ihre Kohle, Ihre Patte.“ Am Ende beschließt die Protagonistin, „nicht mehr Teil sein“ zu wollen der „merkwürdigen Maschine“. Auch :bsz-Redakteur Alexander Schneider macht bei seinem zweiten CampusSlam ein großes Themenfass auf: „Kevin, der NSA und die Eltern“ lautet der Titel seines Parts. Eigentlich seien die eigenen Eltern viel schlimmer als der NSA, lautet seine provokante und zugleich augenzwinkernde These: „Wer seine Eltern auf Facebook als Freunde hat, bracht keine Feinde mehr.“ Am Ende wird es dann doch versöhnlich – seien die „blutsverwandten Terroristen“ doch „eigentlich halb so schlimm“ und bräuchten spätestens ab 50 hin und wieder nochmal die virtuelle Illusion, „sich manchmal als Papa- und Mamarazzi fühlen zu können“.
Herzrasen nach vier Red Bull
Dass man das Herz auch anders zum Rasen bringen kann als durch das ganz große Gefühl, nämlich durch vier Red Bull vor dem finalen Auftritt, beweist am Ende der Vizemeister der deutschsprachigen U20-Poetry-Slam-Meisterschaften 2013, Hinnerk Köhn aus Eckernförde, der zurzeit ein Praktikum in Bochum absolviert. Mit dem nur scheinbar ironisch als „Text über Inklusion“ bezeichneten Text „Willy“ aus seinem Pixi-Buch „Klara und andere Frauen“ inkludiert Hinnerk die Herzen des Publikums: „Willy ist geistig und körperlich behindert, Kettenraucher und wahrscheinlich der einzige normale Mensch im ganzen Café.“ Als letzten Beitrag des Abends liest der Wortpirat aus dem Norden wieder einen Kaffeehaustext – diesmal über eine unerreichbare Angebetete in seinem Text „Masha“ – mit viel Herzblut und Bochumer Lokalkolorit. Co-Finalist Sven Hensel resümiert nach der Lesung: „Ich habe einen ehrwürdigen zweiten Platz gegen Hinnerk Köhn gemacht, dessen Applaus mir fast die Trommelfelle weggeplästert hätte. Meiner hat's mir weniger fast weggeplästert, aber es war auch sehr knapp und hart an der Grenze.“ So viel ist sicher: Sven hat bei seiner finalen Performance voll aufgedreht und es ging nur um wenige Dezibel.
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